Süddeutsche Zeitung

Mord an Rosemarie Nitribitt:Das letzte Bild der "blonden Rosi"

Kurt Weiner hat die letzten Fotos der Prostituierten vor ihrer Ermordung geschossen. 50 Jahre später erinnert sich der Fotograf an seinen journalistischen Zufalls-Coup.

Nina Jauker

Kurt Weiner, geboren 1921 in Danzig, arbeitete 40 Jahre als Fotograf bei der Frankfurter Rundschau. Sein Fotoarchiv umfasst etwa 60.000 Aufnahmen vom politischen und kulturellen Geschehen in Frankfurt zwischen 1946 und 1986.

Weiner gab sein Archiv an das Frankfurter Institut für Stadtgeschichte ab. Seine Arbeiten gelten als eine der wichtigsten Bildquellen zur jüngeren Stadtgeschichte.

Zwei Tage vor ihrer mutmaßlichen Ermordung fotografierte Weiner die stadtbekannte Prostituierte Rosemarie Nitribitt. Es sind vermutlich die einzigen Aufnahmen der Prostituierten, auf denen sie sich nicht bewusst in Szene gesetzt hat. 50 Jahre später erinnert sich der heute 85-Jährige an die Entstehung der Bilder.

"Rosemarie Nitribitt kannte ich vom Sehen. Welchem Gewerbe sie nachhing, war bekannt, auch unter uns Fotoreportern. Einer sagte mal im Scherz zu mir: "Geh doch rüber, ist doch ne günstige Gelegenheit, sie liegt wieder im Fenster."

Das heißt, sie lag nicht zum Sonnen da, sie schaute einfach aus dem Fenster. Ich habe geantwortet: "Mensch, die kann ich doch gar nicht bezahlen. Da ist ja unter 500-600 DM nichts drin." Angeblich war es sogar ein Tausender - zumindest hörte man das damals so.

Hinter vorgehaltener Hand wurde immer von ihrer prominenten Kundschaft gesprochen; es hieß, dass sich die Nitribitt nur Leute erlauben konnten, die viel Geld besaßen.

Die Nitribitt fuhr immer mit ihrem Mercedes von ihrer Wohnung aus die Kaiserstraße hinauf durch die Stadt. Damals lag das Redaktionsgebäude der Frankfurter Rundschau genau gegenüber von ihrem Appartementhaus.

Von dort habe ich am 27. Oktober 1957 die vermutlich letzten Fotos der lebenden Rosemarie Nitribitt aufgenommen, aber das wusste ich damals ja noch nicht.

Ich machte die Bilder vom Dach der Frankfurter Rundschau aus, für die ich lange Jahre gearbeitet habe. Der FR-Karikaturist Felix Mussil hatte dort oben sein Atelier und ich hatte ihn dort besucht. Um zum Atelier zu gelangen, musste man aus einem Treppenhaus über das Flachdach gehen. Er nutzte diesen Weg immer zur Kantine.

Als wir gesehen haben, wer sich im Gebäude gegenüber sonnt, bin ich sofort gerannt und habe meine Kamera geholt. Vom Dach aus habe ich dann mit Teleobjektiv drei oder vier Aufnahmen gemacht. Nitribitt saß dort einfach in der Sonne, am offenen Fenster, mit hochgelegten Beinen. Nichts Besonderes.

Ein paar Tage später, am 2. November, hatte ich Geburtstag und feierte gerade mit Freunden, als ich einen Anruf aus der Redaktion der Frankfurter Rundschau bekam. Sie fragten ganz aufgeregt: "Hast Du Bilder von der Nitribitt?" Ich musste dann meinen Geburtstag unterbrechen und in die Redaktion fahren. Die Negative lagen noch auf meinem Schreibtisch."

Wir FR-Fotografen haben vom Redaktionsgebäude nicht hinüber zum Tatort fotografiert; das war für mich nicht von Interesse. Die Sensationsreporter waren natürlich wild drauf. Aber der Leichnam, das war nichts mehr für uns, das war abgeschlossen."

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