Süddeutsche Zeitung

Mord an Hells-Angels-Mitglied:Bandenkrieg in Rockerkluft

Nach dem Mord an einem Mitglied der Hells Angels treffen zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Münster Bandidos und Hells Angels aufeinander.

Dirk Graalmann

Es sind dunkle Gesichter, ausdruckslose Mienen, die schweigend nach Rache dürsten. Einige der Männer tragen Kapuzen, ab und an tuscheln sie untereinander. Rechts an der Wand sitzen 25 Kuttenträger des Motorradklubs Bandidos, dazwischen haben zwei Dutzend Polizisten Platz genommen.

Dann werden 25 Mitglieder der Hells Angels in den kleinen Saal 023 des Münsteraner Landgerichts geleitet, eskortiert von diversen Einsatzkräften. Die Blicke treffen sich, einige wenden sich ab.

Es ist mucksmäuschenstill. Eine knisternde Stimmung, die Unbeteiligte verstört, gar ängstigt. Einige Prozess-Zuschauer zucken merklich zusammen, als die verfeindeten Gruppen erstmals zusammengeführt werden.

Es ist wie die Spannung vor dem großen Knall. Doch bleibt es ruhig - auch vor dem Gerichtssaal, wo sich jeweils mehrere hundert Mitglieder der Rocker-Gangs eingefunden haben. Dazwischen patrouillieren Polizisten, 600 Einsatzkräfte sind angefordert worden. Höchste Alarmstufe. Die Gruppen werden getrennt wie die Fanklubs von Schalke und Dortmund beim Revier-Derby in der Fußball-Bundesliga. Doch das ist kein Kick um drei Punkte, das hier ist ein Mordprozess.

Im Saal bemüht sich Michael Skawran, Vorsitzender Richter der Zweiten Großen Strafkammer, um einen möglichst reibungslosen Ablauf. Doch die Nervosität ist auch ihm anzumerken. Er muss in den nächsten 20 Verhandlungstagen den ersten Mordprozess leiten, bei dem die seit vielen Jahren verfeindeten Motorradklubs aufeinandertreffen.

Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten Heino B., 48, und Thomas K., 36, gemeinschaftlichen Mord vor. Die beiden Bandidos-Mitglieder sollen am Morgen des 23.Mai den 47-jährigen Robert K. in dessen Motorradladen in Ibbenbüren ermordet haben. Das Opfer war Mitglied des Hells-Angels-Ablegers "West Side".

Nun sind seine Gesinnungsgenossen in Mannschaftsstärke erschienen. Am Tisch der Nebenklage hat die Frau des Opfers Platz genommen. Ab und an wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Hinter ihr sitzten die früheren Kumpel ihres Mannes. Ungerührt. Feindschaft und Freundschaft ohne Worte.

Als Thomas K. in den Gerichtssaal geführt wird, nickt er seinen Bandidos-Kollegen hinter der Plexiglasscheibe zu. Es ist ein leises Zeichen der Verbundenheit. Denn Thomas K., ein junger, gepflegter Mann mit Halbglatze, hat seine Kutte nicht dabei. Er trägt eine ordentliche Hose, dazu einen schwarz-weißen Rollkragenpullover. Ein Normalo.

Sein vermeintlicher Komplize Heino B. dagegen - lange Mähne, Schnauzbart - hat eine verkappte Rockerkluft angezogen. Army-Hose, ein Bandidos-Shirt, dazu einen Kapuzenpulli. Darüber baumelt eine Lesebrille. Er wird sie im Prozess kaum brauchen. Denn beide Angeklagten werden sich nach Aussage ihrer Anwälte im weiteren Verfahren nicht zur Sache äußern. "Es wird ein Indizienprozess", gesteht Richter Skawran schon am ersten Verhandlungstag.

Beweise gibt es nicht, zweifelsfreie Zeugenaussagen auch nicht, nur jede Menge Indizien. Der Wagen von Thomas K. etwa wurde während der Ringfahndung nach der Tat registriert - obwohl er zu dem Zeitpunkt beim Frühstück gesessen haben will. Heino B., dessen Frau der dunkle Van gehörte, der am Tatort gesichtet worden war, hatte sich für den 23.Mai sogar frei genommen. Zudem wurde sein Handy offenbar mehrmals in der Nähe des Tatorts geortet.

Doch ob das für eine Verurteilung reicht? Man werde auf Freispruch plädieren, kündigte der Verteidiger von Heino B. bereits öffentlich an. Sein Kollege hatte am ersten Verhandlungstag erst einmal andere Einlassungen zu machen.

Seinem Mandanten Thomas K. seien auf dem Weg von der U-Haft in den Gerichtssaal die Augen und Ohren verbunden worden. Das sei "unmenschlich", echauffiert sich der Anwalt. Er hat das Wort kaum ausgesprochen, da murrt der Hells-Angels-Block. Ein hämisches "Ooohh" erfüllt den Gerichtssaal.

Richter Skawran wird energisch: "Das hier ist keine Show von RTL", merkt er spitz an. Alle parieren. Man habe dem Angeklagten Augen und Ohren verbunden, damit dieser sich nicht die Fahrtroute merken könne. Die Polizei fürchte wohl eine Befreiungsaktion. So etwas gibt es eigentlich nur bei RTL. Aber das hier ist Realität. Am Donnerstag wird der Prozess fortgeführt.

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SZ vom 18.12.2007/cag
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