Süddeutsche Zeitung

Laufstege von New York bis Paris:Die üppigen Jahre sind vorbei

In der Modebranche werden wieder deutlich weniger Plus-Size-Models gebucht. Dabei tragen durchschnittliche Frauen Größe 42/44. Wie erklärt sich diese Diskrepanz?

Von Silke Wichert

"Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt." Der Satz stammt bekanntlich von Kate Moss, die in den Neunzigern und Nullerjahren als superdünnes Supermodel den Zeitgeist prägte. "Heroin Chic" hieß das damals. Und welche Dekade feierte nun zuletzt ein großes Revival in der Mode? Richtig, die späten Neunziger und frühen Nullerjahre. Und wie sehen viele Models seitdem wieder aus? Noch mal richtig: extra mager. Die Entwicklung war schon die letzten beiden Saisons auf den Laufstegen zu beobachten, beim vergangene Woche zu Ende gegangenen Schauenmarathon schienen noch einmal mehr Knochen an den Schlüsselbeinen hervorzustehen, die Beine mancher Mädchen fielen eher in die Kategorie Mikadostäbchen.

Dabei hatte es kurz mal so ausgesehen, als würde sich die Branche tatsächlich bewegen. Plus Size, Inklusivität und Diversity hießen die neuen Modewörter. Von 2016 an gab es auf einmal Topmodels wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser mit Konfektionsgrößen um die 44, die rauf und runter gebucht wurden und auf die Titelblätter der sonst in jeder Hinsicht exklusiven Modemagazine durften. Selbst Luxusmarken wie Fendi oder Versace schickten Mädchen mit deutlichen Kurven über den Laufsteg und ließen sich für ihre Großzügigkeit feiern. Die soeben von Vogue Business und der Laufsteg-Suchmaschine Tagwalk veröffentlichten Daten zeigen allerdings, dass die Zahl sogenannter Plus- und Midsize-Models schon wieder deutlich abgenommen hat.

Im Vergleich zu den Fashion Weeks im September fiel der Anteil um 24 Prozent, statt 90 hatten diesmal nur noch 68 Marken Models jenseits einer Kleidergröße 34 im Casting, wobei es sich meist um ein einziges Alibi-Mädchen handelte. Chanel gilt da schon als rühmliche Ausnahme mit drei Midsize-Models - bei insgesamt 66 Entwürfen. Das entspricht einem Anteil von weniger als fünf Prozent. Lediglich in London, wo vor allem junge Labels wie Nensi Dojaka oder Sinéad O'Dwyer zeigen, herrschte mehr Abwechslung.

Die meisten in der Branche zucken da nur gelangweilt mit den (oft auch eher schmalen) Schultern. Dieses Plus-Ding sei halt nur ein Trend gewesen, der Spuk vorbei, alles gehe jetzt wieder "back to normal", wobei normal hier eben klapperdürr bedeutet. Die meisten Designer mögen es einfach lieber, wenn die Kleider flach am Körper herunterhängen. Ein bisschen kurios ist das natürlich schon: Während normalerweise die Nachfrage das Angebot regelt, ist das in der Mode ganz offensichtlich nicht der Fall. In Deutschland tragen Frauen jedenfalls durchschnittlich eine 42 bis 44, in den USA eher sogar eine 46, und die Lust auf schöne Kleidung nimmt mit steigendem Gewicht keineswegs ab. Im Gegenteil, der weltweite Markt für große Größen wächst deutlich schneller als der für kleine, laut dem Marktforschungsinstitut NPD legte er allein zwischen 2019 und 2021 dreimal so stark zu, dieses Jahr soll das Gesamtvolumen 288 Milliarden Dollar erreichen. Ein, genau: "dickes Geschäft", wie immer wieder betont wird.

Warum das die Laufstege und Werbeanzeigen trotzdem nicht widerspiegeln? Eine gängige Erklärung lautet: Die Mode verkaufe nun mal Träume. Und wovon träumten die meisten Frauen heute immer noch - eher vom Dünn- oder vom Dicksein?

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