Mobiltelefone im Justizvollzug:Von wegen Hering

20 Jahre Sicherheitsgruppe im Justizvollzug

Damit ihre illegalen Mobiltelefone nicht gefunden werden, überlegen sich Häftlinge die irrwitzigsten Verstecke. Wie diese Konservendose, die in der JVA Waldheim sichergestellt wurde.

(Foto: Peter Endig/dpa)
  • In ganz Berlin beschlagnahmten Justizvollzugsbeamte im vergangenen Jahr 1303 Mobiltelefone, darunter immer wieder auch die neuesten Modelle.
  • Die sächsischen Grünen wollen die Regeln für Handys im Vollzug lockern und den Gefangenen mehr Möglichkeiten geben.
  • Häftlingen soll mehr Raum für persönliche Gespräche mit Angehörigen gewährt werden.

Von Ronen Steinke, Berlin

Abends, wenn die schweren Türen in ihre Schlösser eingerastet sind, beginnt in vielen Zellen das Geflüster. Auch wenn es strikt verboten ist: In deutschen Gefängnissen kommen Mobiltelefone hervor, die tagsüber in ausgehöhlten Tischbeinen, in Toilettenschüsseln oder Wandritzen versteckt waren. Das könne man kaum verhindern, sagt ein Beamter, der in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel arbeitet, einer der ältesten und baufälligsten des Landes. Handys würden laufend eingeschmuggelt, meist über die Mauer geworfen. Allein in Tegel beschlagnahmen Beamte fast jeden Tag eines. In ganz Berlin waren es im vergangenen Jahr 1303 Stück, darunter immer wieder neueste Modelle.

Manche Anstalten nutzen einen sogenannten Handyfinder. Er sieht aus wie ein Funkgerät und brummt, je näher man einem eingeschalteten Mobiltelefon kommt. Aber das Gerät ist ungenau, und es ist eine Sisyphusarbeit: "Es gibt unendliche Möglichkeiten, Handys zu verstecken", sagt der Justizbeamte. So sei das eben heute. In der JVA Tegel gibt es sogar einen Twitteraccount, über den Gefangene anonym Informationen über Missstände - echte oder vermeintliche - nach draußen berichten, @jvaberlintegel. Häftlinge leben hinter Gittern, so wie schon immer. Aber nicht mehr hinterm Mond.

Hat das auch sein Gutes? Darüber ist jetzt in Sachsen ein interessanter Streit entbrannt. Die sächsischen Grünen wollen die Regeln lockern und den Gefangenen mehr Möglichkeiten geben. Ihre rechtspolitische Sprecherin Katja Meier sagte der Chemnitzer Freien Presse: "Die weitaus meisten der illegal eingebrachten Handys dienen den Gefangenen zur Aufrechterhaltung der Alltagskommunikation mit ihren Angehörigen und Kindern." Bisher müssten Gefangene ihre Gespräche über ein zentrales Telefon auf dem Gang führen, sagte die Oppositionsabgeordnete. "Zeit und Raum für ein persönliches Gespräch mit der eigenen Frau oder den Kindern bleibt da kaum. Mit einem privaten Telefonat im Haftraum, das im Einzelfall überwachbar ist, wäre dies möglich."

Anlass ist eine Initiative des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU). Er will Handy-Telefonate gerade mithilfe einer technischen Keule stoppen: Nachdem im vergangenen Jahr 281 Mobiltelefone in sächsischen Haftanstalten beschlagnahmt wurden, sollen Störsender in die JVA Leipzig und die JVA Dresden eingebaut werden. Das ist sehr aufwendig, Sachsen veranschlagt 2,7 Millionen Euro, denn es müssen Schleifen in den Wänden und Böden verlegt werden. Das erste Bundesland, das vor Jahren mit Störsendern experimentierte, war Baden-Württemberg, und dort ist man inzwischen davon abgekommen: Der technische Fortschritt mache sie wirkungslos, mit dem Nachrüsten komme man kaum hinterher. Das klamme Berlin nutzt Störsender heute noch in der Untersuchungshaft. Dort ist die Sorge am größten, dass Gefangene Zeugen bedrohen, Beweismittel beseitigen lassen oder weiter ihre kriminellen Geschäfte steuern könnten.

Kontakt zur Familie

Um den Kontakt zum Leben außerhalb der Gefängnismauern nicht zu verlieren, haben Gefangene in Strafhaft ein Recht auf Besuch - in Bayern zum Beispiel mindestens eine Stunde im Monat. So steht es in Paragraf 27 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes. Details regelt jede Justizvollzugsanstalt selbst in ihrer Hausordnung. Pro Besuch dürfen in der Regel drei Personen kommen, Kinder unter 14 Jahren nur in Begleitung eines Erwachsenen. In der Untersuchungshaft sind die Regeln strenger, dort müssen Angehörige Besuche beim zuständigen Untersuchungsrichter beantragen. Während "normale" Besuche meist in einem überwachten Sammelraum für alle Häftlinge stattfinden, können verheiratete Inhaftierte auch einen so genannten Langzeitbesuch beantragen, unüberwacht in einem speziellen Raum. Auch das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich - in Bayern sind solche privaten Treffen in der Regel nur für Ehepartner erlaubt, in Nordrhein-Westfalen unter Umständen auch für Eltern oder Geschwister. SZ

Anstatt sich gegen die modernen Kommunikationsmittel zu wehren, sollten Sachsens Gefängnisse eher mehr Angebote schaffen, findet deshalb die Grüne Katja Meier. Ein Festnetztelefon im Haftraum sei in den meisten Fällen eine gute Möglichkeit, um den Anreiz zum Einschmuggeln illegaler Handys zu verringern. Festnetztelefone könne man so einstellen, dass nur bestimmte Nummern angerufen werden könnten. Auch den Zugang zum Internet sollten JVAs unter Aufsicht ermöglichen, findet Meier, um den Gefangenen den Kontakt zur Außenwelt zu eröffnen.

Wie dieser Kontakt bislang funktioniert, zeigt derzeit ein Beispiel aus der schon erwähnten JVA Tegel. Dort hat ein Gefangener, vermummt mit Palästinensertuch, seit Juni Videos im Internet veröffentlicht. Unter dem Namen Paschol Nahuy (russisch für: "Verpiss dich!") bezeichnete er sich als den weltweit ersten "Knast-Youtuber". Anfang Juli wurde er erwischt und in einen besonders gesicherten Teil der Anstalt verlegt. Am Sonntag nun hat er wieder ein neues Video gepostet.

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