Verkehr:Andere Länder, andere Ampeln, andere Sitten

Ampeln Grün Quer

Nicht überall bleiben die Fußgänger bei Rot so brav stehen wie in Deutschland.

(Foto: Ampelmann GmbH, www.ampelmann.de)

In London wurde heute vor 150 Jahren die erste Ampel aufgestellt - sie explodierte nach nur drei Wochen. Sieben skurrile Anekdoten aus aller Welt.

Zwei Arme, die sich waagerecht ausbreiten konnten und nachts rot und grün beleuchtet wurden: So sah die erste Verkehrsampel der Welt aus. An diesem Montag vor 150 Jahren wurde sie in London installiert. Natürlich dort. London war damals die größte Stadt der Welt und somit auch die Stadt mit den schlimmsten Verkehrsstaus, wenn auch noch mit Pferdewagen und Fußgängern - das Auto wurde schließlich erst 18 Jahre später patentiert.

Betrieben wurde die Weltneuheit mit Gas, weshalb es gut drei Wochen nach der Inbetriebnahme der ersten Ampel auch schon wieder vorbei war mit den Lichtsignalen, vorübergehend jedenfalls: Es kam zu einer Explosion, bei der sich ein Polizist verletzte. Erst mit der Elektrizität kehrte die Ampel zurück auf die Straßen. Ins Bewusstsein der Menschen drang sie allerdings bis heute nicht unbedingt vor. Längst nicht überall sind die Verkehrsteilnehmer ja so beherrscht wie in Deutschland, wo man sich, wenn man doch einmal bei Rot über die Straße geht, schon fast wie ein Krimineller fühlt.

Derweil ist die Vielfalt der Ampeln, die sich in den vergangenen 150 Jahren entwickelt haben, immens. Mal gehen ihre Bewohner, die Ampelmännchen, aufrecht, mal gebückt; mal stehen sie bei Rot wie angewurzelt, mal winkt eine Hand; und in der Mongolei reiten sie auf Pferden. Eines aber haben die Ampeln in nahezu allen Ländern der Erde gemein: Sie sind spannender als die langweiligen Kreisverkehre. Sie lösen Emotionen aus, man kann auf Ampeln wunderbar schimpfen - und sich sehr freuen, wenn man mehrmals hintereinander eine grüne Ampel erwischt.

Eine Sammlung von Ampelgeschichten aus aller Welt.

Brasilien - Grün mit Konjunktiv

Woran erkennt man einen echten Carioca, wie sich die Einwohner von Rio nennen? Ein belastbares Indiz ist die Ausrichtung des Liegestuhls. Fremde gucken an der Copacabana tendenziell zum Meer, Einheimische drehen ihre Liege stets in Richtung der Häuserfront, weil von da die Sonne auf den Bauch scheint. Noch eindeutiger definiert sich der Carioca aber am Steuer: Wer die Straßenverkehrsordnung befolgt, kann nur ein seltsamer Fremder sein. Ampeln? Werden grundsätzlich respektiert - solange sie nicht rot leuchten. Rote Ampeln sind unter den Autofahrern dieser Stadt eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um abzubremsen.

Gehalten wird an Kreuzungen nur dann, wenn sowohl Rot ist, als auch die unmittelbare Gefahr droht, bei Missachtung der Ampel einen Unfall zu bauen. Ansonsten rauschen Taxis, Linienbusse, im Grunde alle echten Cariocas schon mal mit 40, 50 Sachen über Rot; gerne auch vor den Augen der Polizei, obwohl das so keineswegs in den Verkehrsregeln steht. Ganz im Gegenteil: Wer über eine rote Ampel fährt, macht sich eines "schweren Vergehens" schuldig und müsste laut Gesetz ein Bußgeld von 293,47 Reais entrichten (66,87 Euro). Aber dazu heißt es vor Ort: "A lei não pega", dieses Gesetz hat es leider nicht geschafft, umgesetzt zu werden. Als Fußgänger, zumal aus anderen Kulturkreisen, ist es deshalb gefährlicher, über Grün zu gehen als über Rot. Grün bedeutet hier nicht: Die Straße ist frei. Sondern: Die Straße könnte frei sein.

Boris Herrmann

Japan - Verwirrendes Farbenspiel

In Japan schaltet die Ampel nicht von Rot auf Grün, sondern auf "Blau". Genau genommen leuchtet die Ampel durchaus grün, aber die Japaner nennen es blau. In den zweisprachigen Verkehrsregeln wird das japanische Blau auf Englisch mit Grün übersetzt. Der Grund dafür ist komplex. Der Linguist Francis Conlan hat dem japanischen Wörtchen "blau" eine 500-seitige Dissertation gewidmet. Historisch wurde vieles blau genannt, was in den Augen anderer Menschen grün ist. In Japan gibt es "blaue Blätter" und "blaue Äpfel". Selbst ein Anfänger ist kein Greenhorn und auch nicht grün hinter den Ohren, sondern blau, weiß der Linguist Peter Backhaus.

1930, als Japans erste Ampel an der Hibiya-Kreuzung in Tokio installiert wurde, nannte man ihre Farben noch Rot und Grün. Aber als Ampeln populärer wurden, begannen die Leute, das grüne Licht blau zu nennen. Um das aufzufangen, baute der Staat blauere Ampeln, kam aber wieder davon ab. Nur auf dem Land findet man heute manchmal noch blaue Ampeln. Die meisten Fußgänger in Japan warten, wenn die Ampel Rot zeigt. Selbst wenn weit und breit kein Auto kommt. Viele Radfahrer dagegen ignorieren alle Ampeln. Und die Autofahrer huschen, wenn die Ampel auf Rot schaltet, oft noch durch. Wenn sie dann aber grün wird, lassen sie sich meist viel Zeit. Vielleicht fragen sie sich: Ist das jetzt Grün oder Blau?

Christoph Neidhart

Englische Nonchalance und rituelles Hupen in Ägypten

England - Eine Art Empfehlung

Gerade, wenn man bedenkt, dass London die historische Heimat der Ampel ist, darf man durchaus die Nonchalance bewundern, mit der hier ihre Signale missachtet werden. Eine Ampel wird eher als eine Art Empfehlung gesehen, nicht als Gebot, an das man sich sklavisch hält. Wenn kein Auto kommt, geht man in der Regel bei Rot - wenngleich manche in der Gegenwart kleiner Kinder auch schon mal stehen bleiben. Das in Deutschland übliche Zurechtweisen von Bei-Rot-Gehern ist jedenfalls vollkommen unbekannt und würde scheele Blicke ernten, und in der Regel verrät nichts eindeutiger den Touristen, als wenn man, obwohl weit und breit kein Fahrzeug zu sehen ist, brav wartet, bis das grüne Männchen aufleuchtet.

Die Straße zu überqueren, wenn Platz ist, dient unter anderem dem Verkehrsfluss in den notorisch verstopften Straßen der britischen Metropole. Gerade in der Rush Hour sind die Ampelphasen für Fußgänger extrem kurz geschaltet und wechseln in oft nervtötend langen Abständen. Es gibt allerdings Stellen in der Stadt, an denen man sich besser an die Ampel hält, an Marble Arch, Hyde Park Corner oder Trafalgar Square zum Beispiel. Hier sind die Straßen einfach zu breit, um schnell hinüberzuhuschen - und je breiter die Straße, desto mehr Gas gibt der Londoner.

Alexander Menden

Taiwan - Halten für die Demokratie

Wenn eine Diktatur zur Demokratie wird und die Leute sich mit einem Mal selbst die Regeln geben dürfen, dann macht das mit ihnen die seltsamsten Dinge. In Taiwan und seiner Hauptstadt Taipeh herrschte Ende der Achtzigerjahre noch eine Einparteiendiktatur, Taipeh war eine asiatische Stadt wie alle anderen auch: aufregend, aufstrebend, chaotisch, bunt und schmutzig. Kein Mensch blieb hier je an einer roten Ampel stehen. Dann aber stürzten sich die Taiwaner mit einer seltenen Leidenschaft in das Unternehmen Demokratie. Danach passierten (und passieren bis heute) Szenen wie jene in der Märznacht 2004, als die einstige Opposition zum zweiten Mal die Wahlen für sich entschied: Eine menschenleere Straße, die Ampel ist rot, und wenn man seither macht, was man in Taiwan früher immer tat, nämlich einfach auf die Straße treten, als gäbe es kein Ampellicht, dann kann es passieren, dass ein Schrei zu hören ist: "Hey! Hello!" Am Gehsteigrand stehen alle anderen Passanten, brav und geduldig. "Die Ampel! Rot", sagt einer und deutet mit dem Finger nach oben. Weit und breit kein Auto, die Taiwaner bleiben dennoch stehen. Es lebe die Demokratie.

Kai Strittmatter

Ägypten - Rituelle Hupzeichen

Wer im Kairoer Stadtverkehr überleben will, der muss vor allem eines können: die rituellen Hupzeichen richtig deuten. Da es in der ägyptischen Hauptstadt nur wenige Ampeln gibt und die nicht selten ausfallen, ist man als Fußgänger nicht gerade gut beraten, wenn man sich auf Ampeln oder (oft verblichene) Zebrastreifen verlässt. Um vorwärtszukommen, müssen Fußgänger im richtigen Moment loslaufen und bloß keinen Schritt zurück machen. Oder man wartet, bis sich eine Lücke auftut, und rennt los. Manchmal hilft es, Augenkontakt mit dem Autofahrer aufzunehmen, manchmal gibt er dann erst recht Gas.

Vergleichsweise günstig für Fußgänger sind die Stoßzeiten: Angesichts des Staus kann man sich da einigermaßen sicher durch die stehenden Autos hindurchschlängeln. Sobald sie sich aber wieder bewegen können, haben Autofahrer auf Kairos Straßen das Sagen, frei nach dem Motto: Der Stärkere gewinnt. Fußgänger und Fahrradfahrer sind den meisten Autofahrern lästig, sie sollen froh sein, wenn sie heil über die Straße kommen. Dabei sind Hupzeichen Ausdruck der Kommunikation. Meist wird mit ihrer Hilfe geschimpft, auch wenn unnötiges Hupen eigentlich strafbar ist. Sie reichen von "Hau ab, das ist meine Spur" bis "Du Sohn eines Hundes, wieso bleibst du an einer roten Ampel stehen?". Da Ägypter Vorschriften generell gerne ignorieren, gelten an Straßenkreuzungen oft Vorschriften auf Zeit: Statt einer Ampel wird mit einem Countdown heruntergezählt, wann man wieder fahren darf: Drei, zwei, eins - los. Geordneter geht es in den Urlaubsorten am Roten Meer zu: Dort werden vermehrt Überwachungskameras eingesetzt, um den hierarchisch niedriggestellten Fußgängern die Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen.

Dunja Ramadan

Italien - Zwei quälende Minuten

Zum Beispiel die Ampel an der Piazza Gerusalemme, gleich neben der großen Synagoge Roms. Wenn man da, an der stark befahrenen Uferstraße des Tibers, als Fußgänger unter Platanen auf seinen Moment wartet, wartet man so lange, dass sich bald die unbändige Lust einstellt, unter Todesgefahren bei Rot auf die andere Seite zu gehen. Zwei Minuten dauert Rot, und zwei Minuten sind verdammt lang. Wird es dann endlich Grün, bleibt es nur vier Sekunden, dann ist schon Gelb, neuerdings mit Countdown: noch mal 15 Sekunden. Man sollte besser gut zu Fuß sein, wenn man Roms Straßen heil überqueren will. Es ist nämlich so, dass die Auto- und die Motorradfahrer, auch Zentauren genannt, den Stadtverkehr überall in Italien recht rüde und absolut beherrschen - mit steigendem Hegemonieanspruch, je südlicher man geht. Der Fußgänger? Er stört nur den Flow, ohne Ampel ist er verloren. Der "semaforo", wie die Italiener mit Betonung auf dem a zur Ampel sagen, ist hier so etwas wie ein Lebensretter - mit rasend schnellem Countdown.

Oliver Meiler

USA - Gefährliche Besonderheit

Die USA sind das Land der Autofahrer. Somit sind sie auch das Land der Ampeln, deren Zweck es ja ist, den Autofahrern zu signalisieren, wann sie fahren dürfen. Insgesamt klappt das auch ganz gut. Eine zuweilen gefährliche Besonderheit ist allerdings, dass man in Amerika an einer roten Ampel in der Regel rechts abbiegen darf. Laut Straßenverkehrsordnung sollten Autofahrer das aber mit der gebotenen Vorsicht tun: Sie müssen auf eventuellen Durchgangsverkehr von links oder Gegenverkehr von vorne achten. Vor allem aber sollten sie auf Fußgänger und Radfahrer aufpassen. So weit die Theorie. In der Praxis existieren rote Ampeln für Rechtsabbieger schlicht nicht. Die meisten Fahrer rauschen einfach durch, völlig wurscht, wer da ihren Weg von wo kreuzt. Ein flüchtiger Blick, kurbel, kurbel am Steuerrad, und wenn dann ein Fußgänger auf der Kühlerhaube liegt, dann ist das sein Pech. Dass dieser Fußgänger den Autofahrer dann seinerseits mit Schadenersatzprozessen in den Ruin treiben kann, ist vielleicht ausgleichende Gerechtigkeit. Mehr Respekt als für rote Ampeln haben die Amerikaner übrigens für Stoppschilder. Die nimmt jeder ernst.

Hubert Wetzel

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Belebte Straße in der Innenstadt von Freiburg im Breisgau Baden Württemberg Deutschland *** Bustli

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