Süddeutsche Zeitung

Mobbing-Opfer begeht Suizid:"Ich hoffe, Ihr seid nicht sauer"

Jahrelang wurde er gemobbt, gehänselt, ausgeschlossen - niemand will etwas gemerkt haben. Nun hat sich der 20-jährige Niederländer Tim R. selbst getötet.

Pesten lautet das niederländische Wort für mobben. Das klingt wie eine Krankheit, die ein Betroffener kaum wieder loswird. In einem aktuellen Fall hat diese "Pest" nun offenbar zum Tod eines jungen Mannes geführt. Der 20-jährige Niederländer Tim R. nahm sich das Leben, weil er sich jahrelang gemobbt fühlte.

Bereits am vergangenen Montag hatten Tims Eltern in der Zeitung De Twentsche Courant Tubantia eine Traueranzeige veröffentlicht. Mit Teilen des Abschiedsbriefs ihres eigenen Sohnes: "Liebe Pap und Mam, ich wurde mein ganzes Leben lang verspottet, gemobbt, gehänselt und ausgeschlossen. Ihr seid phantastisch. Ich hoffe, Ihr seid nicht sauer. Auf Wiedersehen, Tim."

Für Zehntausende Niederländer war diese Anzeige ein bestürzendes Signal. Fassungslos reagierten auch Nachbarn und Bekannte im Wohnort der Familie, dem Dorf Tilligte nahe der deutschen Grenze. Keiner will etwas von seinem Leidensweg gemerkt haben. Dabei wurde Tim schon auf der Grundschule regelmäßig schikaniert, sagte ein Sprecher der Familie der Tageszeitung NRC.next.

Auch im Internet kursierten Beleidigungen. Unbekannte hatten im Namen von Tim Berichte auf einer Bewertungssite für Gaststätten hinterlassen. "Ich bin ein Loser und Homo", hieß es im vergangenen Sommer. Die Eltern meldeten dies jetzt der Polizei.

Niemand will etwas bemerkt haben

Auch auf der pädagogischen Hochschule Windesheim, an der Tim studierte, war von Mobbing nichts bekannt. "Es ging ihm gerade sehr gut bei uns", sagte Direktor Lex Stomp im niederländischen Radio. Tim wollte Geschichtslehrer werden. "Er bereitete sich auf ein Auslandspraktikum vor."

"Die Umwelt nimmt die Signale meistens nicht wahr", sagt der Psychologe und Mobbing-Experte Bob van der Meer. Zehn Prozent der niederländischen Kinder und Jugendlichen würden gemobbt. Seit 2006 müssen Schulen zwar ein sogenanntes Mobbing-Protokoll führen. Das sei aber zu wenig, sagt der Psychologe. "Wir werden aufgerüttelt von so einem Fall, doch dann geschieht nichts."

Die Signale der Opfer sind schwer zu erkennen, weil sie nicht laut um Hilfe rufen. Das tat auch Tim nicht. "Du hattest nicht immer Rückenwind", schreibt Tims Familie in einer anderen Todesanzeige. "Doch Du hast Dir nie etwas anmerken lassen, und wir konnten nicht in Dich hineinschauen. Jetzt hast Du uns tief im Innersten berührt."

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung in diesem Fall gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1515387
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/mkoh/jst
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.