Es reicht diese eine Begebenheit aus, um Conor McGregor zu begreifen. Sie spielt in Hermosa Beach, im Südwesten von Los Angeles. Dort lebt McGregor, 30, wenn er nicht gerade in Las Vegas oder seiner Heimatstadt Dublin ist. Eines Abends fährt er also in Hermosa Beach in seinem Rolls-Royce die Straße hinunter, er hört "Down in the DM" des Rappers Yo Gotti, da entdeckt er sich selbst als Pappfigur auf einem Balkon, lebensgroß. Was nun passiert, erklärt die Marke dieses Kampfsportlers, der gerade sein Karriereende bekannt gegeben hat und gegen den die Polizei mal wieder ermitteln soll, diesmal wegen sexueller Nötigung.
Einen Tag später besucht McGregor den Fan, dem der Balkon gehört, er fährt in einem der teuersten Autos der Welt vor, trägt aber Jogginghose, Unterhemd und Arbeitermütze. Er umarmt den Fan und unterhält sich mit ihm unter Gebrauch sämtlicher irischer Schimpfwörter wie mit einem alten Kumpel. Er weiß natürlich, dass er vom Klatsch-Portal TMZ gefilmt wird und so gleich zwei Botschaften an die Welt senden darf. Die eine: Seht mal her, wo ich lebe, was für ein Auto ich fahre, wie attraktiv meine Freundin Dee Devlin ist! Die andere: Ich bin immer noch der Junge aus Dublin 12, ich habe nicht vergessen, woher ich gekommen bin.
Ein einziger Kampf brachte ihm 85 Millionen Dollar
Diesen Zwiespalt vermarktet McGregor sehr erfolgreich, wie so viele Kampfsportler. Er ist einer der bestbezahlten Sportler der Welt, allein mit dem (verlorenen) Boxkampf gegen Floyd Mayweather junior vor eineinhalb Jahren hat er 85 Millionen Dollar verdient. Er hat Klamotten entworfen, eine Whiskey-Sorte herausgebracht, eine App mit Emojis gestartet. Er ist eine Ein-Mann-Gelddruckmaschine, und das ganze Geld wird er stilgerecht wieder los. Jede seiner Uhren kostet einen sechsstelligen Betrag, bei den Autos wird es schon mal siebenstellig, und sein Haus in Hermosa Beach direkt am Pazifikstrand: achtstellig, locker.
McGregor ist im Stadtteil Crumlin aufgewachsen, im Postleitzahlen-Bezirk Dublin 12, in dem viele Mitglieder der Gang Kinahan leben. Eine gefährliche Gegend. "Ich liebe Crumlin, weil es einen abhärtet", hat McGregor einmal gesagt. Er hätte Klempner werden sollen, das war der Wunsch seines Vaters, er hätte Drogen verkaufen können wie seine Freunde. Er wollte beides nicht. Er wollte mehr. Er wollte berühmt werden, gerne auch berüchtigt.
McGregor hat sich aus Dublin 12 herausrausgekämpft, nach ganz oben: in der Kampfsportart Mixed Martial Arts, im Verband Ultimate Fighting Championship (UFC), der als sehr brutal gilt. Er hat seine Gegner nicht nur besiegt, er hat dabei meist auch eine spektakuläre Show geliefert, im Ring und auch abseits davon, seine Kiefermuskeln sind mindestens so grandios wie jene an den Schultern. Show ist wichtig in dieser Kampfsportwelt, in der nicht der Beste am meisten verdient, sondern der, für den die Zuschauer bei Pay-per-View-Events bezahlen. McGregor ist ein grandioser Entertainer und war deshalb lange Zeit das Zugpferd, der bestbezahlte Athlet. Er begeistert die Massen, weil er diese Geschichte erzählt, die schon so oft erzählt worden ist im Kampfsport. Einer, der von ganz unten kommt, es nach ganz oben schafft, aber das "Ganz unten" weiterhin im Herzen trägt. Und auf der Zunge.
"Ich sage, wie die Dinge wirklich sind", hat er einmal gesagt, "die Gefühle anderer dabei sind mir scheißegal. Wenn mich jemand nach meiner Meinung über jemanden fragt, dann bekommt er die. Das ist kein Trash Talk, es ist die Wahrheit."
So was kommt gut an beim Volk, und natürlich halfen die vielen Siege. 21 seiner 25 UFC-Kämpfe hat er gewonnen, 18 vorzeitig, oft, weil der Gegner aufgegeben hat. Er sagt: "Ich liebe es, die Kontrolle zu haben und zu merken, dass der andere nichts dagegen tun kann." So ist das im Kampfsport: Wer im Ring seine Gegner aus dem Weg räumt, dem können die Probleme außerhalb des Ringes wenig anhaben.
Vor Gericht wird ihm das Bösewicht-Image eher wenig nutzen
Eine Prügelei auf einer Pressekonferenz? Gut für die Quoten. Eine Rangelei mit einem Fan? Ebenso. Ein Raubüberfall kürzlich, dessen er verdächtigt wird? Lässt sich regeln. All das dient der Legendenbildung - so wie es einst dem Boxer Mike Tyson geholfen hat, sich selbst als "bösester Mensch der Welt" zu bezeichnen und sich auch so zu benehmen. McGregor nennt sich "Notorious", der Berüchtigte.
Nun aber behauptet eine Frau, im Dezember in einem Hotel in der Nähe von Dublin sexuell genötigt worden zu sein. In irischen Medien ist von einem "namentlich nicht genannten Sportler" die Rede, dieser sei im Januar festgenommen, verhört und fürs Erste wieder freigelassen worden. Eine formale Anklage gebe es nicht. Nach irischem Recht darf der Name von Angeklagten erst nach einer Verurteilung veröffentlicht werden. Einem internen Memo des irischen TV-Senders RTE zufolge, das nun an die Öffentlichkeit gelangt ist, soll McGregor der verdächtigte Sportler sein. In einem Statement seiner PR-Agentin Karen J. Kessler heißt es, dass der Rücktritt nichts mit den Ermittlungen zu tun habe.
McGregor dürfte nun feststellen, dass am Ende seiner Sportlerkarriere noch jede Menge Leben übrig ist. Der 30-Jährige ist nun nicht mehr der Underdog, der es nach oben geschafft hat. Er ist nun einer, der oben ist. Was passiert mit einem, der in seinem Leben immer nur gekämpft hat, wenn er nicht mehr kämpfen muss? Wenn das, was er verkörpert, nicht mehr faszinierend, sondern gefährlich wirken könnte? Werden die Leute ihm seine Modekreationen abkaufen, seine Spirituosen? Erster Versuch: Im Instagram-Video zu seinem Rücktritt trinkt er eine Piña Colada, gemixt mit seiner eigenen Whiskey-Marke. Die lebensgroße Pappfigur übrigens ist vom Balkon in Hermosa Beach inzwischen verschwunden.
McGregors nächster Kampf findet wohl im Gerichtssaal statt, womöglich wird er für ihn härter als die Kämpfe im Ring. Denn dort kannte er sich aus.