Mitten in Peking:Ein "Wo cao!" zur Begrüßung

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Nach neun Monaten kam unser Autor wieder in die chinesische Hauptstadt und es existierten nicht mehr: seine Lieblingsbar. Sein Lieblingsrestaurant. Vertraut blieben: die giftigen Nebel. Und die Flüche des Taxifahrers.

Kai Strittmatter

Mitten in Peking steht ein Bierkrug. Kein gewöhnlicher Bierkrug. Fast ein Obelisk. Als er vor Jahren auftauchte, im Kneipenviertel Sanlitun, da rieben wir uns verwundert die Augen. Er war auch nicht allein, der Krug. Über Nacht hatte er sich mit anderen wunderlichen Gesellen am Straßenrand niedergelassen: Rechts davon wand sich eine gigantische Erbsenschote, die bald die Kinder ritten; die Straße links hinunter wachte eine Art Magic Mushroom über die Kreuzung, mit Tentakeln und Hüten so psychedelisch, als wären sie den Phantasien berauschter Hippies entstiegen. Dabei waren es nur die der örtlichen Baubehörden, die dem Krug sofort ein neues Peking hinterherschickten: Bierkrug und Erbsenschote waren Kunst am Bau.

Smog in Peking (Foto: Foto: dpa)

Nun wäre China aber nicht China, hätte nicht binnen zweier Jahre der Bierkrug zu seiner eigentlichen Bestimmung gefunden. Eines Morgens öffnete sich eine Klappe, ein melonenkernhülsenspuckendes Fräulein murmelte aus dem dunklen Bauch heraus "Was willste?", und der stolze Krug mit seiner wie hingeföhnten Schaumtolle aus Zement war fortan ein Kiosk: Zigaretten der Marke "Kleiner Panda", rosa Würstchen im Plastikdarm und, natürlich, Dosenbier der Marke "Schwalbenstadt". So hieß Peking früher mal. Als es noch Schwalben gab. Und Peking. Und über die Jahre wuchs uns der Bierkrug ans Herz.

Nun war ich wieder in Peking, zum ersten Mal nach neun Monaten. Und wieder einmal stand da eine neue Stadt. Vertraut waren: die Begrüßungsworte des Taxifahrers ("Wo cao!", bayerisch: "Zefix!"). Außerdem: der giftige Nebel, durch den das Flugzeug bei der Landung hatte stoßen müssen (Vor meinem Abflug hatte ich eine Wetterseite im Internet konsultiert: "Beijing: 1 Grad, Rauch", stand da. Rauch!). "Sag mal", pflaumte mich der Taxifahrer an: "Wir lernen das doch alles von euch. Wir machen hier doch Verwestlichung, oder?" - er deutete auf Rauch und Stau: "Geht's bei euch auch so zu?" Ehrlich gesagt, ich kann mir keinen Ort auf der Welt vorstellen, in dem es je so zugegangen wäre. Pekings Taxis fahren nun alle mit GPS: Nur der Satellit weiß noch, wo was steht in dieser Stadt.

Ich kam also wieder nach neun Monaten, und es existierten nicht mehr: Meine Lieblingsbar ("Cloud Nine"). Mein Lieblingsrestaurant ("Heimat des brodelnden Fisches"). Das ganze Kneipenviertel Sanlitun. Stattdessen: Baugruben mit Schlünden so groß, dass das Münchner Glockenbachviertel bequem hineinpasste. Einmal bestellte ich mir messergeschabte Nudeln und hatte die Bestellung kaum ausgesprochen, da wurde mir die Schüssel auch schon serviert. Die Kellnerin, grinsend: "China prescht in vollem Tempo voran." Ihren Galgenhumor haben sich die Pekinger nicht nehmen lassen. Und nicht den brodelnden Fisch. Nichts habe ich lieber gegessen als diesen Shuizhu-Fisch, den "in Wasser gekochten Fisch": starkes Understatement für ein Gericht, das in zwei Schaufeln getrockneter Chilischoten badet und filettierten Fisch in Dynamitplättchen verwandelt. Mein Lieblingsrestaurant mag abgerissen sein - dafür summen die Mädchen im Friseursalon den Schlager der Saison: "Ich liebe dich so/wie den Shuizhu-Fisch/Für dich ist immer ein Platz in meinem Wok/Weißt du noch, wie dir der Schweiß von der Stirn tropfte/in jener kleinen Garküche ..."

Mitten in Peking gähnt ein Loch. Gegenüber ragt ein unvollendeter Wolkenkratzer in den Himmel. In seinem Schatten aber steht immer noch der Bierkrug. Mein Peking. Unter der bröckelnden Krone sitzt ein melonenkernhülsenspuckendes Fräulein und fragt: "Was willste?" Und ich summe: "Komm, wir essen Shuizhu-Fisch/ein Gefühl so heiß und scharf / da denk ich jeden Tag an dich".

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