Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in...":Glasklar Frühling

Die SZ-Korrespondentin in Stuttgart lebt auf der dunklen Seite der Stadt und freut sich über die ersten Strahlen der Februarsonne - allerdings nicht ungetrübt. Drei Anekdoten aus ganz Deutschland.

Mitten in... Stuttgart

Weite Teile Stuttgarts liegen in einem Talkessel, weshalb sich dort gerne Autos und Abgase stauen. Die Topografie hat aber auch ihr Positives: Von oben lässt sich der Blick über die Stadt genießen, und drunten am Kesselboden trifft das Auge am Ende langer Straßenfluchten auf Wald oder Weinreben am grünen Kesselrand. Wenn man jedoch zu nah an eben diesem Kesselrand wohnt und noch dazu auf jener Seite der Stadt, die Einheimische als "dunkle Seite" kennen, dann kann es sein, dass sich im Winter mehrere Wochen lang kein einziger Sonnenstrahl in die Wohnung im ersten Stock verirrt. Große Freude deshalb, als die Sonne Mitte Februar endlich wieder so hoch klettert, dass sie einen leuchtend hellen Balken auf den Wohnzimmerboden wirft. Es ist ein innerliches Sonnwendfest, bis der Blick aufs Fenster fällt: Das müsste dringend mal wieder geputzt werden. Claudia Henzler

Mitten in... Mannheim

Ja, die Krise kann Wunder bewirken. Baden-Württembergs Justiz hat zum Online-Termin geladen, Thema: Videoverhandlungen. Gut, Videokonferenzen machen ja jetzt alle. Aber der Videoprozess im Gericht stand eigentlich schon lange vor Corona im Gesetz, nur blockierte die Justiz Neuerungen zuverlässig mit dem Satz: Kenn' ich nicht, mag ich nicht. Und nun ist ein Richter aus Mannheim zugeschaltet, er schwärmt vom digitalen Aufbruch und vom ökologischen Fußabdruck, dank Webex. Mannheim, ausgerechnet! Wer je als Reporter aus dem Landgericht berichtet hat, der wusste: kein Signal, nirgends. Und jetzt haben sie Gäste-Wlan! Der Justizminister sagt noch, das technische Equipment sei deutlich verbessert, aber da ruckelt der Ton. "Ich hör' nichts", schreibt einer im Chat, und dann wird das Bildschirmfenster mit dem Minister schwarz. Wolfgang Janisch

Mitten in... Brühl

Seit Max' Großmutter ihren Kampf gegen Parkinson aufgeben musste, ist ein Satz in der Familie zum geflügelten Wort geworden: "Gut, dass Nora das nicht mehr erleben muss." Dazu sollte man wissen, dass Nora eine extrem politische Person war, der keine Diskussion zu intensiv sein konnte. Sie war blitzschnell auf 180 und hielt dieses Niveau mühelos. Einiges hätte sie bestimmt aufbrausen lassen: Trump und der Sturm aufs Kapitol; Aluhüte, aber auch Corona-Restriktionen. Max hätte ihr gerne zugehört und von ihr gelernt. In diesen Monaten weilt er - auch dank ihrer pekuniären Hilfe - zum Schüleraustausch in Kanada, zunächst zwei Wochen in Quarantäne. Das erste Foto aus Kelowna zeigt ihn, die einstige Mathe-Niete, wie er dem gleichaltrigen Sohn der Gastgeberfamilie Gleichungen erklärt. Da dachten wir sofort: Schade, dass Nora das nicht mehr erleben kann. Milan Pavlovic

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