SZ-Kolumne "Mitten in ...":Einmal Vokuhila, bitte!

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Im Kinderzimmer ist es verdächtig still, doch die Vorstadt-Eltern trinken lieber ihren Spritz, anstatt auf die Alarmglocken zu hören. Wenn das mal kein Fehler ist. Drei Anekdoten aus Deutschland und Europa.

Mitten in ... Vaterstetten

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Je ruhiger es im Kinderzimmer ist, desto lauter schrillen bei Eltern die Alarmglocken. Normalerweise. Wir aber sitzen gemeinsam mit anderen Vorstadteltern gemütlich im Wohnzimmer und verköstigen uns mit Rosato Spritz und Weißwein, da fällt es uns allzu leicht, die Warnsignale zu ignorieren. Bis der Nachwuchs stolz das Ergebnis seines verdächtig ruhigen Spiels präsentiert: Aus der kinnlangen Bobfrisur des Mädchens ist ein 80er-Jahre-Vokuhila geworden, im dunkelbraunen Schopf des Jungen klaffen neben dem Scheitel große Löcher, aus denen die blanke Kopfhaut hervorschimmert. Und die langhaarige Puppe kann sich sowieso nicht gegen schnippelnde Hände zweier Vierjähriger wehren. Der Fußboden im Kinderzimmer: ein Teppich aus braunen Kinder- und blonden Puppenhaaren, an dem selbst der Staubsauger scheitert. Kerstin Lottritz

Mitten in ... Samnaun

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Als Mann wird einem nicht so oft hinterhergepfiffen. Es sei denn, man befindet sich auf einer Bergwanderung. Entlang des Wegs in Richtung Zeblasjoch stoßen Murmeltiere ihre grellen Rufe aus. Catcalling mal anders? Wohl eher Dogcalling: Sie warnen sich gegenseitig vor meinem Hund, der bei jedem Pfiff am liebsten lossprinten würde. "Bitte nehmen Sie den Hund an die Leine", sagt ein älterer Herr zu mir, der mit seiner Frau auf einem Felsen in der Sonne sitzt. Wie nett, denke ich, der Mann sorgt sich um das Wohl der Wildtiere! Als ich beim Abstieg zwei Stunden später wieder dort vorbeikomme, liegen zwei tote Murmeltiere neben dem Mann, mit blutverschmiertem Fell. Im Herbst dürfen die Einheimischen sie abschießen und zu Salbe verarbeiten. Die Sorge galt eher dem Hund, der seine Jagd hätte vereiteln können. Titus Arnu

Mitten in ... Trient

Illustration: Marc Herold (Foto: N/A)

Ohne mich zu fragen, setzt sich der Mann neben mich auf die Bank im Park am Bahnhof. Es geht auf Feierabend, die Studenten rauchen Gras, Dante schaut von seinem Sockel aus in die andere Richtung. Der Mann holt ein Buch heraus und beginnt zu lesen. Das Buch ist zweispaltig gesetzt, offenbar eine Bibel. Wir haben kein Wort gesprochen, aber als ich aufstehe, sagt er plötzlich auf Deutsch: "Auf Wiedersehen!" Auf meinen fragenden Blick hin erklärt er, er sei mit einer Deutschen verheiratet gewesen, "aus Berlin". Wo sie jetzt sei, frage ich. Das Wort fehlt ihm, er macht mit der Hand eine Bewegung senkrecht nach unten. "Gestorben?" Ja, vor fünf Monaten. Hilflose Beileidsbezeigungen meinerseits, aber er winkt ab. "Das Leben ist so", meint er in klarstem Deutsch. Dann verabschiedet er mich noch mal und wünscht eine gute Reise. Willi Winkler

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