Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Stillgestanden! Papiere! Danke!

Lesezeit: 2 min

Ein SZ-Reporter wird in der Ukraine an einem Militärcheckpoint aufgehalten und stellt fest: Kasernenton und Höflichkeit sind mitnichten unvereinbar. Drei Anekdoten aus Deutschland und Europa.

Mitten in ... Iwankiw

Die Landstraße nördlich von Kiew wäre dank SUV-großer Schlaglöcher auch so schon ein Abenteuer. Jetzt haben die russischen Truppen nach ihrem Rückzug auch noch gesprengte Brücken hinterlassen. Ersatzweise gibt es schwimmende Ponton-Konstruktionen und auf beiden Seiten Militärcheckpoints der Ukrainer. Wir sollen anhalten: Pass und Presseakkreditierung! Plötzlich fragen die fünf grimmigen Soldaten den des Ukrainischen mächtigen Beifahrer etwas - und ich frage mich: Haben wir was falsch gemacht? Wollen die uns in ein Militärgefängnis stecken? Der Beifahrer nickt den Soldaten zu. Einer öffnet die Tür und hockt sich auf die Rückbank, die Kalaschnikow auf dem Schoß. Der Beifahrer erklärt: Wir sollen den Soldaten nur auf die andere Seite mitnehmen. Da sagt man wohl besser nicht Nein. Beim Aussteigen sagt der Soldat artig Danke. Christoph Koopmann

Mitten in ... Marseille

Gleißendes Frühlingslicht, noch brennt die Sonne nicht, sondern wärmt nur die Seele. Freundinnen spazieren untergehakt am Kai des alten Hafens entlang, Kinder zupfen rosa Bäusche von ihrer Zuckerwatte, hat die je himmlischer geschmeckt? Auch die Straßenmusiker sind wieder da: Ein Akkordeon ist zu hören. Plötzlich verstummt es. Ein älteres Paar, beide im Rentnerbeige, redet aufgeregt auf den Musiker ein, der stoisch auf seinem Smartphone rumwischt. Passt ihnen was nicht? Plötzlich zeigt der Akkordeonspieler den beiden seinen Bildschirm, beide nicken jetzt sehr einverstanden. Sie haben sich ein Lied gewünscht, er spielt es: Schostakowitschs Walzer Nummer 2. Die beiden Alten fassen sich vorsichtig an den Händen, lächeln, scheinen Körper an Körper über das Trottoir zu schweben. Es ist jetzt schon der herzergreifendste Tanz des Jahres. Mareen Linnartz

Mitten in ... München

Die besten Filme zeigt das Leben, und so verwandelt sich das Münchner Wohnzimmerfenster von Zeit zu Zeit in eine Leinwand. Mal ist die Nachbarin zu sehen, die Wasser aus dem Mund auf ihre Balkonpflanzen spuckt. Mal werfen Lausbuben Eier auf Passanten. Kürzlich fiel Klopapier vom Himmel: Ein Mann aus dem Nachbarhaus schmiss die Rollen auf einen Baum, dessen Geäst eine Mütze aufgespießt hatte. Das Malheur musste beim Versuch passiert sein, sie zur Partnerin nach unten zu werfen. Eine Rolle nach der anderen rauscht also vorbei, doch die Mütze bleibt oben. Der Mann taucht auf der Straße auf, sammelt das Papier ein und setzt den Beschuss von unten fort - ohne Erfolg. Erst als er ein Stück emporklettert und kräftig rüttelt, fällt die Mütze zu Boden. Die Show ist fast vorbei, da erzittert der Baum erneut. In den Ästen baumeln Kopfhörer. Thomas Balbierer

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