SZ-Kolumne "Mitten in ...":Verfolgt von den Frommen

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(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

Ein SZ-Redakteur geht im Spessart wandern und genießt die Stille des Waldes - bis er Bekanntschaft mit einer Pilgergruppe macht. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten im ... Waldaschaffer Forst

Von Steiger bis Lohr am Main führt der Spessartweg fast ausschließlich durch dichten Buchenwald. Außer Stille darf man wenig erwarten - es sei denn, man gerät in eine Wallfahrt. Vor dem Aufbruch haben wir die knapp 50-köpfige Gruppe mit Kreuz und Megafon an uns vorbeiziehen sehen. Aber sie muss einen anderen Weg genommen haben, denn plötzlich hören wir hinter uns blechern ihren Gesang: "Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück." Wir beschleunigen unsere Schritte und versuchen, mit Arbeiterliedern dagegenzuhalten. An einer Kreuzung warten Suppe und Tee auf die frommen Verfolger. Wir hasten weiter, um sie endgültig abzuhängen. Aber wir sind falsch abgebogen und müssen kehrtmachen. Und da sitzen sie: An jedem Baum eine Pilgerin, die uns ihren blanken Hintern entgegenstreckt und sich von irdischer Beschwernis erleichtert. Wolfgang Krause

(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Paris

Mai in Paris, das klingt nach blühenden Bäumen vor dem Eiffelturm und Sonnenschein zum Croissant. Stattdessen aber: Schrottschirme vom Straßenhändler und Hüpfspiele von einer Bistro-Markise zur nächsten. Zum Glück haben wir es rechtzeitig vor dem nächsten Regenschauer ins Café geschafft. Drinnen zischt die Kaffeemaschine, hier ist zwar immer noch Montmartre, aber auch ein wenig internationales Hipstertum, es gibt Bananenbrot, dazu Espresso macchiato, der Noisette heißt. Draußen ziehen Touristen vorbei, mit Schirm oder in Outdoor-Jacke, die weniger gut gerüsteten in den schnell gekauften Mänteln in Müllsack-Optik. Und dann eine ältere Dame, die hier zu wohnen scheint und offenbar gerade einkaufen war. Auf dem Kopf trägt sie: eine weiße Plastiktüte. Umgestülpt, in hutähnlicher Form. Das muss dieser Pariser Chic sein. Elisa Britzelmeier

(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

Mitten in ... München

Als das "Harry Klein" 2003 eröffnete, war Gerhard Schröder Bundeskanzler. Jetzt, knapp 20 Jahre später, ist der letzte Abend im Münchner Technoclub angebrochen. Standort auf der Empore überm DJ-Pult, der Blick schweift: Da ist der, der mit den Händen vorm Schritt aussieht, als pinkle er durchs Geländer hinab auf die tanzende Menge. Da ist die, die Fotos schießt, als schunkelten dort hinten Harry und Meghan. Da ist die, die tanzt, als stünde sie auf einem Rodeo-Pferd. Und da ist der, der Schweißflecken auf dem Shirt hat - Moment, das ist man selbst. Erst mal kurz an die frische Luft. Zehn Minuten später bahnt man sich den Weg zu seinem Stammtanzplatz vor der Bar, doch der ist, klar, nun besetzt. Da hebt der heutige Tanznachbar, ein Mann mit grauen Locken, die Hand und bittet einen neben sich. Der Club und die Atmosphäre werden fehlen. Tobias Bug

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