Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Das böse F-Wort

In Oregon unterhalten sich zwei US-Amerikaner über verbotene Ausdrücke und sind völlig einer Meinung - bis sie anfangen, die Buchstaben zu zählen. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten in ... Astoria

Als älteste amerikanische Siedlung westlich der Rocky Mountains zieht Astoria auch heute noch ein buntes Völkchen an. In einem Restaurant mit norwegischer Küche widmet sich die Frau hinterm Tresen einem Mann in Plauderlaune: Wie er stammt sie aus dem Süden, aus Tennessee. Sie ist vor Jahren nach Oregon umgezogen, er überlegt gerade, ob er das auch tun will. Sie rät ihm uneingeschränkt dazu, viel freier fühle sie sich hier. Den Ausschlag habe ein Streit gegeben, nur weil sie einmal "das böse F-Wort" verwendet habe. Der Mann nickt, er kenne den Shitstorm, wenn er "die vier Buchstaben" in den Mund nehme. Da runzelt sie die Stirn: "Mein F-Wort hat aber mehr Buchstaben." Beide tauschen verwirrte Blicke aus, bis er sich zu fragen traut. Es wird still, alle im Raum horchen gespannt. Da ist sie so frei und nimmt es stolz in den Mund: "Feminismus." Claudia Koestler

Mitten in ... Vilseck

Sonntagabend, der Regionalexpress rattert durch die Oberpfalz. An Bord drei US-Soldaten auf dem Weg zum Truppenübungsplatz in Grafenwöhr, bis sie von einer Durchsage in Vilseck ausgebremst werden: "Wegen eines Schienenbruchs kann die Fahrt nicht fortgesetzt werden." Nur auf Deutsch, weshalb sie verständnislos schauen, als alle Mitfahrer aussteigen. Mühsam erklärt man ihnen das Wort "Schienenersatzverkehr" - um wenig später festzustellen: Es gibt keinen Ersatz. "Ich dachte, die Deutschen wären so zuverlässig", murrt einer. Angesichts dieser Ernüchterung braucht es ein Aufmunterungslied. Wie wär's mit "99 Luftballons" und der Feststellung, dass Nena den Abschuss chinesischer Spionageobjekte vor 40 Jahren vorausgeahnt hat? Nach einer Stunde sind die Soldaten textsicher und machen sich mit ihrem neuen Marschlied auf den langen Fußweg in die Kaserne. Florian Müller

Mitten in ... Mumbai

Wer Kindergeburtstage hierzulande für überzogen hält, dem sei die Teilnahme an einer indischen Party empfohlen. Die Tochter jedenfalls wird von einem Tsunami an Glückshormonen erfasst, als sie sieht, was der Onkel in Mumbai da alles zu ihrem vierten Geburtstag aufgefahren hat. Er hat eine Halle gemietet für die versammelte Verwandtschaft, es gibt ein Rieseneinhorn aus Luftballons, einen Tattoo-Maler und einen Zauberer samt Kaninchen im Hut. Ein Profi-Fotograf verfolgt die Gäste mit der Kamera und ruft ununterbrochen "Foto! Foto!" Der Vater des Geburtstagskindes, der seit Jahren in Deutschland lebt, hat sich an den Rand des Wahnsinns verzogen und beruhigt seine Nerven mit einem Stück Einhorntorte. Er weiß schon, was ihm blüht, wenn es beim fünften Geburtstag wieder nur Topfschlagen und Eierlaufen gibt. Franziska Gerlach

Weitere Folgen der Kolumne "Mitten in ..." finden Sie hier.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5753303
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/nas
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.