Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Rotwein statt Beer Pong

Beim Betrachten eines Sonnenuntergangs in der Normandie stellt eine SZ-Redakteurin fest: Auch Männer mit tief sitzenden Hosen können Stil haben. Zumindest in Frankreich. Drei Anekdoten aus Deutschland und Europa.

Mitten in ... Courseulles-sur-Mer

Gleich soll über dem Ärmelkanal in der Normandie die Sonne untergehen, da nähert sich ein lilafarbener Citroën, dessen Dach mit einer seltsam gemusterten Folie beklebt ist. Zwei Männer Ende 20, Anfang 30, steigen aus, tief sitzende Hosen, Sneaker, Baseball-Caps. Der eine schnappt sich einen Klapptisch aus dem Kofferraum, der andere einen prall gefüllten Jutebeutel, dann verschwinden sie in Richtung der Aussichtsplattform von Courseulles-sur-Mer. Die Banausen werden doch wohl nicht ausgerechnet hier eine Runde Beer Pong zocken? Und einem die Sonnenuntergangsstimmung vermiesen? Mit ein paar Minuten Abstand folgt man ihnen missmutig - und sieht sie an ihrem Holztischchen sitzen, mit zwei Gläsern Rotwein, Käse und Baguette. Die beiden Franzosen schauen aufs Meer und lassen den Tag gediegen ausklingen, während man selbst ein warmes Bier aus der Flasche schlürft. Jacqueline Lang

Mitten in ... Leipzig

Ein Dienstagvormittag im Leipziger Zoo, friedlich tauchen die Glattrücken-Schlangenhalsschildkröten im Wasser der Tropenhalle Gondwanaland vor sich hin. Missmutig schaut eine Besucherin durch die Scheibe und fragt ihren Begleiter "Was kann man denn daran bitte schön finden?" Ihm fällt kein Argument zur ästhetischen Verteidigung der Schildkröte ein. Sie berichtet nun lautstark von ihrem früheren Haustier, das sie trotz größter Abneigung mit Salat fütterte, und ahmt dessen Kaugeräusche nach. "Ich habe das Vieh gehasst" - spricht's und rauscht ab in Richtung Riesenotter. Ein wenig betreten zwinkert man der Glattrücken-Schlangenhalsschildkröte zu und liest später nach, dass sie ihre Beute im Ganzen schnappt und mit Unterdruck ins Maul saugt. Allerdings nur Fische. Darüber sollte sie noch mal nachdenken. Iris Mayer

Mitten in ... Pitigliano

Bei "Pasta frescha" kann man, wie der Name sagt, frische Pasta kaufen. Zumindest theoretisch. Wer den Laden in der südlichen Toskana betritt, steht vor einem Paradox: In der Vitrine liegen leckere Pasta-Sorten, aber es erscheint unmöglich, sie zu bekommen. Der Inhaber schaut finster unter seiner Kappe hervor, grüßt nicht, fragt nichts. Zaghaft versucht man es mit einer Bestellung: "500 Gramm von den Spinat-Tortelli bitte!" "No!", antwortet der Chef. "Ravioli mit Nüssen?" "No." "Trüffel-Tagliolini?" "No." Man fühlt sich wie in einem bisher unveröffentlichten Kafka-Roman, "Der Nudelladen". Was hat man bloß falsch gemacht? Wortlos dreht sich der Inhaber um und verschwindet im Nebenraum. Eine freundliche Dame erscheint - und verkauft einem tatsächlich Tagliatelle mit Kräutern. Sie schmecken grandios, um nicht zu sagen nach göttlicher Gnade. Titus Arnu

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