Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Hoch die Tässchen

Die SZ-Korrespondentin in Moskau hat sich auf der Suche nach einem besonderen Geburtstagsgeschenk einen Koffein-Vollrausch angetrunken. Drei Anekdoten aus Deutschland und der Welt.

Mitten in ... Moskau

Ein Geburtstageschenk muss her, und dieser Freundin gefallen die roten Tassen einer österreichischen Kaffeemarke. Wo findet man die in Moskau? Im Internet nicht, dort sind aber alle Cafés aufgelistet, die Kaffee dieser Marke ausschenken. Also probieren wir uns durch, ein Tag voller Koffein. Nicht immer passt das Geschirr zum Getränk. Und wo sich die begehrten Tassen doch auf den Espressomaschinen stapeln, reagieren die Baristas mit schockierender Unbeweglichkeit: "Nicht verkäuflich." In einem Hotelcafé bringt sich sogar ein Wachmann in Position, damit keine Tasse abhandenkommt. Der Tag endet spät und hellwach in einer Kellerkneipe, dort trinkt man eigentlich Bier. Eine Kellnerin lauscht unserer Geschichte, verschwindet und kommt mit zwei frisch gespülten österreichischen Tassen zurück. Dazu gibt es eine Plastiktüte und zwei glückliche künftige Stammgäste. Silke Bigalke

Mitten in ... Balkonien

Es begann vor zehn Jahren im Gartenparadies, "Johannes Paul II." gab es im Sonderangebot. Bis dahin waren Farbe, Wasserbedarf und Zähigkeit Kriterien für den Pflanzenkauf gewesen, seit dem Papst zählen auch Name und Titel. Leider berankte der Pontifex, eine weiß-rosa blühende Clematis, den Atheisten-Balkon nur einen Sommer lang und verschied im Nachtfrost. Die weltliche Variante des Folgejahrs, "Der Präsident", blühte violett und harmonierte bestens mit dem zweifarbigen "Dr. Ruppel". "Miss Bateman" und "Prinzessin Diana" dagegen welkten kränklich ihrem Ende im Biomüll entgegen, bis sich mit dem "Rouge Cardinal" im Lockdown-Sommer protziger Purpur auf dem Balkon in München ausbreitete. Hat er den Winter überstanden? Im Öffnungsrausch im Gartenmarkt ein erster Blick auf Alternativen. Daheim grüne Triebe gesichtet, es folgt die Auferstehung. Iris Mayer

Mitten in ... Berlin

Als der Sohn nach einer Busfahrt im Herbst 2019 seine Geldbörse vermisste, war der Mutter alles klar: gestohlen. Die Welt beziehungsweise Berlin ist schlecht, sagte die Mutter und zählte auf, was sie so erlebt hat: Einbrüche, aufgebrochene Keller, mehrere geklaute Fahrräder und natürlich die Geschichte mit dem Designer-Pullover, den sie im Theater auf einen Sitz legte, und fünf Minuten später war er weg. Und so denkt die Mutter erst mal an einen Irrtum, als sie im März 2021 einen Brief des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf bekommt, in dem es um eine Fundsache geht. An der Dokumentenausgabestelle wird klar: Es ist die Geldbörse des Sohnes. Es ist noch alles drin, die Ausweise, die BVG-Jahreskarte, die Kinogutscheine, sogar das Taschengeld, ein Zehn-Euro-Schein. Die Mutter wird schleunigst an ihrem Glauben an die Menschheit arbeiten müssen. Verena Mayer

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