SZ-Kolumne "Mitten in ...":Der Messias von der Tankstelle

Lesezeit: 2 Min.

(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

In Jerusalem tummeln sich drei Weltreligionen auf engstem Raum. Als ob das nicht genug wäre! Ein SZ-Redakteur aber stößt auf einen weiteren Gott. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten in ... Jerusalem

Hier die Klagemauer, da der Felsendom, auf der Fläche von nur einem Quadratkilometer Altstadt stehen in Jerusalem Hunderte Kirchen, Synagogen, Moscheen. Eher unbekannt hingegen: dass in der Gegend noch eine andere Weltreligion ihre Pilgerstätte hat. Man muss sich dafür nur ein paar Kilometer aus der Stadt herausbewegen, zu einer Tankstelle. Es gibt dort Zapfsäulen und schwarzen Kaffee, vor allem aber fallen zwei Messias-Statuen auf, zwei, drei Meter groß. Sein Markenzeichen: die Haartolle. Seine heilige Schrift: 711 Songs. Genannt wird er König, 1935 kam er zur Welt. Alles in dieser Tankstelle erinnert an ihn, Bilder, Postkarten, Tassen. Und während die Jünger zu seinen Versen wippen, erhebt vorne ein Mann die Stimme, der aussieht wie er. "Love me tender", singt er. Hier, im "American Cafe" im gelobten Land, ist man über jeden Zweifel erhaben: Elvis lebt. Marcel Laskus

Mitten in ... San Francisco

(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

Nach einem abendlichen Snack im Sunset District, der mich lehrte, dass Bohnenpaste und Shrimp Dim Sum nicht jedem schmecken können, kehre ich ins Zimmer meiner Unterkunft bei einem taiwanischen Seniorenpaar zurück. Es ist 21 Uhr, der Jetlag sitzt im Nacken, ich lasse mich erschöpft ins Bett fallen - als plötzlich halb Taiwan in die Wohnung stürmt. Schuhe klackern im Gang, im Nebenzimmer ertönt Flötenmusik, helles Kichern auf Mandarin. Ein Blick durch den Türspalt. Ein Dutzend Frauen in roten Gewändern stehen da, eine schöner als die andere, und mitten unter ihnen ein kleiner glatzköpfiger Mann mit Brille und Digitalkamera. Er sieht mich, lächelt entschuldigend und sagt, nicht ohne Stolz: "Wir haben Tanzprobe, nächste Woche ist Aufführung!" Für diesen kulturellen Überfall in Kalifornien fünf Sterne für das Ehepaar bei Airbnb. Carolin Werthmann

(Illustration: Marc Herold) (Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Brühl

Als der Platz im Home-Office knapp wird, packt der Prokrastinateur endlich an: Alle LPs werden in den Keller gewuchtet - 20 Jahre nachdem der letzte Plattenspieler abgedankt hat. Die Sehnsucht nach Vinyl muss aber unübersehbar sein, denn prompt gibt es von der Familie einen Plattenspieler geschenkt. Ahnt sie, was sie ausgelöst hat? Alle LPs kommen wieder nach oben, dort wird erst mal durchgehört - und immerhin ausgemistet. Viele Klassiker klingen mit 40 Jahren Abstand nicht mehr so klasse. Noch schlimmer für den Rest der Familie: Aufnahmen, die den Test der Zeit gemeistert haben, laufen nun rauf und runter, Billy Joels "52nd Street", der frühe Lindenberg, Rush. Und am schlimmsten: Der Beschenkte singt ständig mit. Nicht textsicher, aber laut. Nun ist eine Sehnsucht im Gesicht der anderen zu erkennen - jene nach der Zeit ohne Plattenspieler. Milan Pavlovic

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