Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Geschlechterkampf um die Schaukel

In Buenos Aires werden die großen gesellschaftlichen Konflikte mitunter zwischen sehr, sehr kleinen Leuten ausgefochten. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten in ... Buenos Aires

Hochsommer, die Sonne brennt und die Stimmung ist aufgeheizt. Zuletzt haben Proteste Argentinien erschüttert. Tausende meist junge Frauen hatten für das Recht auf Abtreibung demonstriert und gegen Machokultur. Hier aber, auf dem kleinen Spielplatz in einem Vorort von Buenos Aires, geht es um grundlegendere Dinge, genauer gesagt: die Schaukel und die Frage, ob der Junge als Nächstes dran ist oder ein kleines Mädchen. Ziehen und Zerren, dann folgen Beschimpfungen. "Macho!", schreit das Mädchen dem Jungen ins Gesicht. Aufgebracht brüllt der zurück: "Feministin!" Fäuste werden geballt, doch schon kommen Eltern angerannt. Eine kurze Diskussion, dann werden Hände geschüttelt, und am Ende sitzen Junge und Mädchen friedlich gemeinsam auf der Wippe. Ach, ließen sich Geschlechterkämpfe doch immer so einfach lösen. Christoph Gurk

Mitten in ... Hamburg

Eine Dienstreise nach Hamburg, nun wird es Zeit für die Rückfahrt nach Berlin. Es geht mit dem Taxi zum Bahnhof, besser als mit den Öffis in Corona-Zeiten, und der Rucksack mit den Kameras transportiert sich so auch leichter. Der Fahrer spricht von den Schwierigkeiten seiner Zunft und den Kollegen, die schon pleite sind. Das tut mir leid. Pandemietechnisch ist im Taxi alles vorbildlich: Fenster offen, Plastikscheibe, meine FFP2-Maske. Aber seine sogenannte "medizinische Einwegmaske" scheint ihn zu stören. Immer wieder zupft er herum, zieht sie unter, dann wieder über die Nase. Ich fühle mich trotzdem sicher, aber irgendwann bemerke ich eher belustigt als kritisch, dass er wohl mit seinem Mundschutz auf Kriegsfuß stehe. Seine Antwort lässt mich staunen: Es täte ihm leid, er könne nichts dafür - aber seine Nase sei so groß, die passe einfach nicht in die Maske. Regina Schmeken

Mitten in ... Berlin

Eine Freundin hat sich angesagt, man vereinbart, spazieren zu gehen. Erster Stopp: die kleine französische Bäckerei, es gibt noch Galette, diesen Neujahrskuchen. Der Sitzbereich ist abgebaut, wir suchen uns ein alternatives Plätzchen draußen, die breite Fensterbank nebenan vielleicht, wo schon jemand improvisierte Sitzgelegenheiten hingebaut hat. Kurz zögern wir, nicht dass wir Obdachlosen die Plätze wegnehmen? Weil keiner da ist, setzen wir uns. Danach geht's weiter, hinein in den Prenzlauer Berg, man soll ja mindestens 10 000 Schritte machen täglich. Es wird dunkel. Ein Glühwein wäre schön. Aber die Stände sind ja abgebaut. Nahe der Gethsemanekirche verkauft jemand Kinderpunsch. Man wartet, bis alle weg sind, geht hin und flüstert: Haben Sie vielleicht auch Glühwein? "Klar", flüstert der Mann zurück, "hinten. Mit oder ohne Schuss?" Cerstin Gammelin

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