Süddeutsche Zeitung

Mittelitalien:"Beispiellose Zange aus Beben und Schnee"

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Von Oliver Meiler

Im Hotel Rigopiano in Farindola hingen noch die weißen Sterne der Weihnachtsdekoration, als die Lawine das Haus einfach "wegfegte". So beschrieben es die italienischen Feuerwehrleute, als sie das abgelegene Hotel Stunden nach dem Unglück endlich erreicht hatten.

Das Hotel wurde von der Wucht der Schneemasse um mehrere Meter versetzt, zwei der wohl 35 Menschen, die sich im Hotel aufhielten, wurden bis Donnerstagabend tot geborgen, vier konnten gerettet werden. Von allen anderen gab es zunächst kein Lebenszeichen, keine Stimme, kein Laut drang aus den verschütteten Räumen. Die Hoffnung, Überlebende zu finden, istgering. "Es sind viele Tote", erklärten die Rettungskräfte.

Das Rigopiano ist ein beliebtes Hotel, ein Vier-Sterne-Resort im Nationalpark beim Gran Sasso, eines mächtigen Gebirgsmassivs im Apennin. Erst kürzlich war es renoviert worden, es warb mit Wellness, Pool, Suiten, Bibliothek. Jetzt, zwischen den Ferienzeiten, waren die 45 Zimmer nicht alle belegt - zum Glück. Nach Aussagen des Besitzers waren 24 Gäste und 11 Mitarbeiter in dem Hotel.

In den vergangenen Tagen schneite es in der Gegend so stark wie seit Jahrzehnten nicht; es gab fast drei Meter Neuschnee in kurzer Zeit. Das Hotel war abgeschnitten, die Telefonleitung unterbrochen. Auf der Zugangsstraße lagen Bäume, gefallen unter der Last des Schnees. Viele Gäste warteten mit gepackten Koffern auf ihre Abreise, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Doch ein Schneesturm verzögerte die Ankunft des bestellten Schneepflugs.

Die Lawine ging kurz vor dem Abendessen nieder. Aus dem Gebäude soll es Hilferufe per SMS und Telefon gegeben haben, die aber möglicherweise zuerst ignoriert wurden. "Hilfe, Hilfe, wir sterben vor Kälte", zitierten die Nachrichtenagentur Ansa und die Zeitung La Repubblica eine SMS-Nachricht.

Giampiero Parete, ein in dem Hotel urlaubender Koch, rief seinen Chef an, als die Lawine das Gebäude traf. Er bat ihn, Rettungsmannschaften zu mobilisieren. Seine Frau und zwei Kinder seien im Innern eingeschlossen. Der Mann hatte, so sein Chef Quintino Marcella, das Hotel verlassen, um Arznei für seine Frau aus dem Auto zu holen - und so überlebt. Marcella sagte, er habe die Polizei und das Büro des Präfekts von Pescara angerufen, doch habe ihm niemand geglaubt. Er habe dann andere Notfallnummern angerufen; bis ihn endlich jemand ernst genommen habe, seien mehr als zwei Stunden vergangen.

Epizentrum des jüngsten Erdbebens liegt in der Nähe

Die Helfer hatten dann große Schwierigkeiten, zum Hotel vorzudringen. Die ersten kamen auf Skiern, weil Autos in den Schneemassen nicht weiterkamen. Die Staatsanwaltschaft in Pescara leitete Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung ein. Vermutlich hat ein Beben die Schneemassen über dem Hotel in Bewegung gesetzt, das Epizentrum der jüngsten Erdstöße liegt in der Nähe.

So fühlt man sich im leidgeprüften Zentrum Italiens doppelt geplagt von der Natur. Italiens neuer Premierminister Paolo Gentiloni sprach von einer "Zange aus Beben und Schnee", die Italien martere. Die Nation müsse jetzt zusammenstehen. Die Aussichten, erhört zu werden, sind gering: Die fremdenfeindliche Lega Nord wirft der Regierung vor, sie kümmere sich mehr um Migranten als um Erdbebenopfer; Beppe Grillo von der Cinque Stelle-Bewegung bezichtigt die Regierung, sie sei der Lage nicht gewachsen.

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