Missstände:Zucht und Unordnung bei der Berliner Polizei

Sicherheit vor dem Bundestag

Ein bewaffneter Polizeibeamter steht vor dem Bundestag in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Die Berliner Polizei leidet unter Personalmangel und unter der Sparpolitik des Senats.
  • 3000 neue Polizisten braucht die Hauptstadt laut Gewerkschaft; 1400 Einstellungen hat der Senat versprochen.
  • Gleichzeitig gibt es Meldungen über angebliche Disziplinprobleme an der Polizeiakademie in in Spandau.

Von Jens Schneider

Der spätere Attentäter Anis Amri stand im Sommer 2016 unter Polizeibeobachtung. Aber wenn er an einem Samstag oder Sonntag unterwegs war, verzichtete die Polizei auf die Observation des Mannes, der Monate später im Dezember den Anschlag auf den Breitscheidplatz verübte. Es ist eine von vielen verstörenden Erkenntnissen aus der Arbeit der Berliner Polizei, die der Sonderermittler Bruno Jost ein Jahr nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ans Licht brachte.

Niemand weiß, ob dieser Anschlag durch eine bessere Polizeiarbeit wirklich hätte verhindert werden können. Aber die Fehler sind verheerend. An diesem Freitag berichtete der Sonderermittler im Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus über die Pannen im Umgang mit Amri, der den Fahndern als islamistischer Gefährder und Drogendealer früh aufgefallen war und doch unbehelligt blieb. Bei seiner Überwachung wusste in Berlin bei der Polizei laut Jost die rechte Hand nicht, was die linke tat.

Diese Einschätzung zu den fatalen Mängeln passt ans Ende einer Woche, in der kein Tag ohne neue Offenbarungen zur Berliner Polizei verging. Es sind Meldungen der Unzulänglichkeiten und Pannen aus einer Welt, die eigentlich Sicherheit ausstrahlen sollte. So wurde am Donnerstag bekannt, dass Angehörige eines arabischen Clans auf einem Polizeigelände in Kreuzberg Zivilfahrzeuge abgefilmt haben sollen und Spuren auf einem sichergestellten Fahrzeug beseitigt hätten. Einen Tag vorher gab es die Meldung, dass eine Studentin während ihres Praktikums bei der Polizei heimlich Fahndungsfotos aufgenommen habe, die es nur im Intranet der Behörde geben sollte. Die junge Frau habe die Bilder in einer WhatsApp-Gruppe verbreitet.

So geht es seit Tagen zu, und die Innenpolitiker im Berliner Abgeordnetenhaus sind unentwegt damit beschäftigt, den Wahrheitsgehalt und die Relevanz der Meldungen, aber vor allem die Ursachen der Polizei-Krise zu ergründen. Es kursieren auch viele anonyme Beschwerden, darunter Verleumdungen. Zugleich berichten Oppositionspolitiker, dass sich Beamte vertraulich an sie wenden, um über den Notstand in ihrer Dienststelle zu berichten. Manche Polizeireviere sind in einem erbärmlichen Zustand, geprägt von einem drakonischen Sparkurs des Berliner Senats.

Im Zentrum der Aufregung steht eine Institution, die gerade dazu dienen soll, die Misere zu beheben: Die Berliner Polizeiakademie in Spandau. Sie soll so intensiv, aber auch so schnell wie möglich neue Polizisten ausbilden, die in der Hauptstadt dringend gebraucht werden. Doch ausgerechnet hier soll es angeblich Disziplinprobleme gegeben haben.

Berlins Polizei ist seit Jahren chronisch überlastet, weil sie extrem unterbesetzt ist. Es gibt viele offen Stellen, dazu sind Hunderte Beamte dauerhaft krank geschrieben, und zugleich steigt die Einwohnerzahl Berlins ständig weiter an.

Dass neue Beamte gebraucht werden, bestreitet niemand, nur haperte es in den letzten Jahren bei den Einstellungen, obwohl inzwischen sogar genug Mittel bereit standen. Es fehlten die Anwärter. 3000 neue Polizisten brauche Berlin, heißt es bei der Gewerkschaft der Polizei; 1400 Einstellungen hat der Senat versprochen und will gern einstellen.

Alles fing mit einer anonymen Sprachnachricht eines Ausbilders an

Dafür aber müsste es junge Beamte geben. Also wurde die Kapazität der Polizeiakademie in Spandau auf 1200 verdreifacht, ein Kraftakt. Mit einigem Stolz spricht die Schulleitung davon, dass im jüngsten Jahrgang 45 Prozent der Polizei-Anwärter einen Migrationshintergrund haben. Das sei wichtig in einer bunten Stadt wie Berlin, erklärte der stellvertretende Schulleiter Boris Meckelburg im Berliner Abgeordnetenhaus vor dem Innenausschuss. Und er betonte, dass man ohne diese Anwärter das gewünschte Niveau an Bewerbern kaum erreichen würde.

Ausgerechnet in dieser Situation wurden jetzt anonyme Klagen über angebliche Missstände an der Polizeischule bekannt, eine Klasse sei durch Respektlosigkeit aufgefallen, "frech wie Sau", hieß es. Alles fing mit einer anonymen Sprachnachricht eines Ausbilders an, der offenbar intern längst identifiziert ist. Die derbe Nachricht richtete sich vor allem gegen Polizeianwärter mit Migrationshintergrund.

Polizeipräsident Klaus Kandt wies die Vorwürfe zurück und warnte wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) davor, Ressentiments gegen Polizeianwärter mit Migrationshintergrund zu schüren. "Das werde ich nicht dulden", sagte Geisel und sprach von einem "ausgrenzenden, rassistischen Tonfall" in der Sprachnachricht. Der Polizeipräsident berichtete über eine "langjährige, erfolgreiche Einstellung von Menschen aus Zuwandererfamilien" bei der Berliner Polizei. Die Anschuldigungen seien nicht belegt: "Ich finde das unerträglich", sagte Kandt.

Aus der Akademie selbst wird berichtet, dass es gelegentlich Disziplinprobleme gebe, wie an anderen Schulen auch, so der stellvertretende Leiter Meckelburg. Der Migrationshintergrund spiele dabei aber keine Rolle, sagt er. So berichteten es auch Ausbilder an der Schule, die Gewerkschaft der Polizei bestätigt diese Erfahrung.

Es gab an der Akademie in diesem Jahr nach Angaben der Behörde 33 Disziplinarverfahren, etwa wegen Beleidigung, Körperverletzung oder Fernbleiben vom Dienst, auch wegen Täuschungen in Prüfungen. Bei der Gewerkschaft der Polizei GdP heißt es, dass man sich an der Schule nicht konsequent genug von Anwärtern getrennt habe, die nicht geeignet seien.

Für die Lage an der Schule macht die Polizei-Gewerkschaft auch eine Reform verantwortlich, die dringend gestoppt werden müsste, so GdP-Sprecher Benjamin Jendro. An der Akademie fehlten seit dieser Reform Klassenleiter, die als Ansprechpartner präsent sein und bei Disziplinproblemen auch eingreifen könnten. "Die haben sich um die Klassen gekümmert", sagt Jendro, diese Beamten hätten Werte vermittelt. Er mahnt, die Polizeiführung müsse die Sorgen ernst nehmen. Viele Beamte seien entsetzt, weil nur abgewiegelt werde. Auch Oppositionspolitiker wie der Christdemokrat Burkard Dregger fordern, dass es "wieder fest zuständige Ausbildungspolizisten" geben solle, "die jungen Polizeianwärtern klare Führung und Orientierung bieten".

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat von der Polizeiführung einen Bericht zur Lage an der Schule gefordert, er setzte dafür eine Frist von vier Wochen. Dem Christdemokraten Burkard Dregger reicht es nicht, wenn die Polizei sich selbst untersucht. Er fordert einen unabhängigen Sonderermittler, der Zugang zu allen Akten erhält und vertraulich alle Beteiligten befragen kann.

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