Missionierung in Haiti:Der Zorn Gottes

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"Ihr seid alle schuldig": In Haiti ist nach dem Erdbeben ein Kampf um die Seelen der Menschen entbrannt. Nordamerikanische Evangelikale gehen bei ihrer Missionierung besonders skrupellos vor.

Peter Burghardt, Port-au-Prince

Die Stimme Gottes bebt im Stadion Sylvio Cator in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince, mächtige Boxen tragen sie ins Volk. Die Profis von Franklin Graham haben eine Bühne wie bei einem Popkonzert aufgebaut, als Vorgruppen singen eine Countryband und ein Schnulzensänger aus Amerika religiöse Lieder.

Dann erhebt die Hauptperson das Wort, inzwischen füllen 20.000 Zuhörer die Arena neben dem halbzerfallenen Zentralfriedhof. "Gott liebt Haiti", ruft der weiße Mann im dunklen Anzug auf Englisch ins Mikrofon, ein schwarzer Haitianer übersetzt. "Warum ist die Welt so ein Fiasko?", fragt er und antwortet: "Das Problem ist die Sünde. Die Cholera hat viele infiziert, die Sünde hat jeden infiziert. Ihr seid alle Sünder."

Kampf um die Seelen

Aber es gebe Abhilfe, sagt er; und deshalb sei er hier: Erweckungsprediger Franklin Graham aus Boon, North Carolina.

Vor dem Beben vom 12. Januar 2010 wurde in dem steinernen Oval Fußball gespielt, einmal war Brasiliens Nationalmannschaft zu Gast. Dann wackelte die Erde, 250.000 Menschen starben. Hunderttausende wurden Witwer, Witwen und Waisen, die Tribünen bekamen Risse.

Nun erleben sie einen Höhepunkt im Kampf um die Seelen einer zerstörten Nation. "Kreuzzug der Evangelisierung", steht auf Plakaten und Ausweisen, "Croisade" auf Französisch und "Kwazad" auf Kreolisch. Veranstalter sind Franklin Graham und seine Hilfsorganisation "Samaritan's Purse", die vor den Toren mit Millionenspenden Auffanglager versorgt.

10.422 Zelte habe man aufgestellt, Tausende Kranke und Verletzte gepflegt, sagt ein Manager. Scharen von Missionaren aller Art ziehen durch Hunderte Camps, unter ihnen "die Missionare auf Motorrädern".

In der gläubigen und verzweifelten Republik geben vor allem strenge Protestanten Gas. Sie wittern ihre Gelegenheit im Land der eingestürzten Kirchen.

Es heißt, Haiti sei zu 80 Prozent katholisch, zu 20 Prozent evangelisch und zu 100 Prozent Voodoo. Das wollen Profis wie Graham ändern, sie wollen das geplagte Volk in der Karibik auf den rechten Weg, auf ihren Weg, führen und vom Antichristen erlösen. Sie haben Erfahrung, Geld und Kontakte.

Grahams Vater Billy führte jahrzehntelang Kreuzzüge bis in die Dortmunder Westfalenhalle, die Familie Bush gehört zu seinen Freunden. Sohn Franklin brachte kürzlich Sarah Palin mit ins Trümmerfeld, den Islam nannte er einmal "böse und teuflisch".

So weit wie andere Extremisten der Bibel geht er an diesem warmen Nachmittag allerdings nicht. Haiti habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um vor 200 Jahren die Franzosen zu besiegen und die Sklaverei, die Katastrophe sei die Strafe gewesen, so hatte nach der Tragödie der Fundamentalist Pat Robertson gepoltert.

Franklin Graham indes warnt sein Publikum jetzt nur davor, "andere Götter anzubeten", zu weiteren Vergehen zählt er vorehelichen Sex.

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