Misshandlungen in der Bundeswehr:"Die größte Dummheit meines Lebens"

Im Keller der Kaserne in Coesfeld sollen mehrere Rekruten misshandelt worden sein. Derzeit stehen in Münster 18 Ausbilder der Bundeswehr vor Gericht. Einer der Angeklagten hat nun zugegeben, einem Soldaten einen Stromschlag versetzt zu haben.

Ralf Wiegand

Der Vorsitzende Richter bewies Mut. Beherzt nahm Thomas Mattonet jeweils eine der beiden Krokodilklammern in die rechte und die linke Hand, sah sich die Kabel an, die zu dem braunen Holzkasten führten und forderte den Angeklagten auf: "Na, dann kurbeln Sie mal."

Misshandlungen in der Bundeswehr: Einer der Angeklagten gab zu, dass eine simulierte Gefangennahme "aus dem Ruder gelaufen" sei.

Einer der Angeklagten gab zu, dass eine simulierte Gefangennahme "aus dem Ruder gelaufen" sei.

(Foto: Foto: dpa)

Auf diese Weise, mit einem Niedrigvoltgerät, an dem die Bundeswehr den Einsatz am Feldfernsprecher trainiert, sollen im Sommer 2004 mindestens zwei Rekruten Stromstöße versetzt worden sein. 18 Bundeswehr-Ausbilder, zum Teil inzwischen nicht mehr im Dienst, stehen wegen der Vorkommnisse in der in Coesfeld stationierten 7. Kompanie des Instandsetzungsbataillons 7 in Münster vor Gericht. Einer von ihnen, Oberfeldwebel Daniel J., 28, hat am Mittwoch gestanden, einem Rekruten einen Stromschlag verpasst zu haben. "Es war die größte Dummheit meines Lebens", sagte er vor Gericht.

J. war der 13. Angeklagte, der im großen Saal des Landgerichts aussagte - aber erst der zweite, der zumindest einen Teil der erhobenen Vorwürfe zugab. Nach seiner Darstellung war eine simulierte Gefangennahme in der Nacht zum 1. September "aus dem Ruder gelaufen". J. war demnach einer jener Ausbilder, die verschiedene Stationen auf einem nächtlichen Gewaltmarsch für die Rekruten einrichtete. Bei den Stationen "Überfall" und "Verhör" soll es laut Anklage zu schweren Übergriffen der Vorgesetzten gegenüber den Soldaten gekommen sein.

Sie seien zu Übungszwecken auf freiem Feld angegriffen und gefesselt worden, ihnen seien die Augen verbunden worden, ehe sie in einem Pritschenwagen zur Kaserne transportiert worden seien. In einem Keller seien sie mit Wasser bespritzt worden, zum Teil sei ihnen das Wasser in den Mund geleitet worden. Stromstöße, Schläge, Beleidigungen, Demütigungen - all das zählt die Anklage in vier Fällen auf. Der Anwalt eines der Angeklagten nannte die Vorwürfe übertrieben und verglich die simulierte Geiselnahme mit dem ,"Indianerspiel von Schuljungen".

Daniel J. indes bestätigte den Ablauf der Übung. Er sei für die Station Verhör eingeteilt worden. Im Keller seien drei Räume eingerichtet gewesen: ein Wartezimmer, ein Verhörzimmer, ein Ruhezimmer. Beim letzten Rekruten sei die simulierte Geiselnahme entgleist. Er habe, so J., ihm die Kabel an die Wade gehalten, ein anderer Ausbilder habe gekurbelt und so Strom erzeugt. "Ich hatte aber selbst meine Finger an den Kontakten, so dass ich die Stärke spüren konnte." Der Vorsitzende Richter, der das Gerät testete, verglich den Effekt "mit einem Weidezaun".

Der Stromstoß war der einzige Übergriff, den J. freiwillig gestand. Erst unter dem Fragedruck des Richters gab er zu, dass im Keller der Kaserne auch fotografiert worden sei - mit seiner Kamera. Von den anderen protokollierten Vorkommnissen dieser Nacht habe er nichts mitbekommen: "Da war ich nicht dabei." J. bedauerte seine Tat mehrmals. Ursprünglich hatte er Berufssoldat werden wollen.

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