Misshandlungen im "Friesenhof":Isolation, Schläge, Demütigungen

Vorwürfe gegen Dithmarscher Jugendheime

Erst stritt die Heimleiterin die Vorwürfe ab, dann stellte die Verwaltung Insolvenzantrag: der Friesenhof in Hedwigenkoog.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

In der "Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof" in Schleswig-Holstein sollen Jugendliche misshandelt worden sein. Der Fall zeigt: Die Betreuung von Minderjährigen aus schwierigen Verhältnissen überfordert viele.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es sieht so harmlos aus, idyllisch fast. Allein der Name: Friesenhof. Die Webseite der "Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof" zeigt Fotos vom Meer mit Segelbooten, von Feldern und dem weiten Himmel Schleswig-Holsteins. Als Adresse wird Büsum an der Nordsee angegeben, die Werbung klingt nach frischer Luft für junge Menschen aus schwierigen Verhältnissen.

Das Mädchenhaus mit dem Namen Nanna im abgelegenen Ort Wrohm bot laut Selbstauskunft "14 Plätze für gewaltbereite und gewalttätige Mädchen", um die sich deren Familien oder andere Unterkünfte nicht mehr kümmern können oder wollen. Doch nun kommen aus diesem Friesenhof Schreckensmeldungen.

Traumatisierte Kinder, raue Betreuer: "Ein fürchterlicher Teufelskreis"

Betroffene erzählen von Isolation, Schlägen, Demütigungen, Schlafentzug. Sie schildern, wie sie sich zur Leibesvisitation nackt ausziehen mussten - vor männlichen Betreuern. Dass Handys eingesammelt wurden und anderer Besitz, wie im Gefängnis. Dass sie den Kontakt zur Außenwelt verloren, als sie dieses abgelegene und von außen unscheinbare Landhaus mit der Ziegelfassade betraten. Alles sei ihr da genommen worden, "meine Freiheit", berichtet eine Rebecca dem NDR-Programm "Panorama 3", das sich dem Thema an diesem Dienstag widmet.

"Wir lagen dann alle in einer Reihe wie im Knast", sagt Denise, "auf dem Boden mit den Händen auf dem Rücken, weil wir einen Aufstand gemacht hatten." Angelina erläutert, wie sie sich im Büro entkleiden musste: "Unterwäsche echt auf Kniehöhe runterziehen." Marika klagt über einen Aufseher: "Kam er rein, hat er mir erst noch in die Seite getreten und meinte, das ist mir scheißegal, wenn du verreckst."

Am späten Montagabend dann machte das Kieler Sozialministerium noch ein sexuelles Verhältnis eines inzwischen gekündigten pädagogischen Mitarbeiters mit einer Minderjährigen publik. Die Frage ist nur: Wer hat wann davon gewusst? Nach ersten Berichten über die Zustände im Friesenhof des Landkreises Dithmarschen hatten die zuständigen Behörden jedenfalls am vergangenen Mittwoch zwei der sechs Friesenhof-Unterkünfte geschlossen.

Mehrere Mädchen versuchten im Moment ihrer Verlegung wegzulaufen und wurden von der Polizei wieder eingefangen. Zwei Insassinnen verletzten sich mit Glasscherben einer umgestürzten Vitrine, der Notarzt versorgte ihre Schnittwunden. Am Freitag stellte die Verwaltung des Friesenhofs dann Insolvenzantrag, kurz nachdem die Heimleiterin Barbara Janssen die Vorwürfe abgestritten hatte. Zu Ende ist die Geschichte deshalb keineswegs.

"Bootcamp" für Jugendliche

Die Staatsanwaltschaft prüft jetzt die Causa, außerdem wird der Fall zum Politikum. Hamburgs Linke attackieren Hamburgs rot-grünen Senat, weil im Friesenhof auch Hamburgerinnen untergebracht gewesen waren und das Jugendamt über den mutmaßlichen Umgang längst Bescheid gewusst habe.

In Schleswig-Holstein geraten Sozialministerin Kristin Alheit und ihre Staatssekretärin Anette Langner (beide SPD) unter Druck, weil frühere Beschwerden über den Friesenhof folgenlos geblieben waren. Versäumnisse und Verantwortung allerdings sind das eine - das andere ist die Tatsache, dass dieses Thema über den Friesenhof weit hinaus reicht.

Zuletzt hatte das mittlerweile ebenfalls geschlossene Erziehungsheim Haasenburg in Brandenburg wegen Fällen von Körperverletzung die Justiz beschäftigt. Ein Aufpasser war wegen sexuellen Missbrauchs einer 15-jährigen Schutzbefohlenen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. "Es ist eigentlich immer dasselbe", sagt Michael Tüllmann von der Kinder- und Jugendhilfe der Diakonischen Betreuungsstelle "Das Rauhe Haus", "ich verfolge das seit 34 Jahren."

"Die geschlossene Unterbringung klappt pädagogisch nicht"

Die Jugendlichen, um die es geht, sind oft traumatisiert und bindungslos - Empathie ist ihnen fremd, dazu kommen Pubertät und Identitätskrise. Mangels staatlicher Stellen und flexibler Therapie landen sie in privaten Heimen, die oft Drill hinter versperrten Türen als Lösung betrachten. "Die geschlossene Unterbringung klappt pädagogisch nicht", weiß Tüllmann. Und er beobachtet, wie in diesem Ambiente mitunter selbst wohlmeinende Betreuer verrohen. "Das ist ein fürchterlicher Teufelskreis."

In Schleswig-Holstein waren Ende 2012 insgesamt 6435 Heimkinder untergebracht, darunter mehr als die Hälfte aus anderen Bundesländern. Die Familienrichterin Christiane Orgis vom Amtsgericht Meldorf hat für einen schon 2014 erschienenen Artikel im Fachblatt Das Jugendamt recherchiert, dass allein im Landkreis Dithmarschen mit seinen mehr als 700 Heimplätzen wie denen im Friesenhof ungefähr 25 Millionen Euro verdient würden.

Doch viele dieser Mädchen und Jungen hätten in ihrer Unterkunft kaum Zugang zu einer einigermaßen unabhängigen Vertrauensperson, dabei sieht das Gesetz jeden Monat den Besuch eines Vormunds vor. Und wer nicht aus Schleswig-Holstein stamme, der unterliege dort nicht einmal der Schulpflicht. Kein geregelter Unterricht, Telefon nur unter Aufsicht, kein Internet, Übergriffe und Zwang, und das alles im Deutschland des Jahres 2015. "Bootcamp" nennt die Juristin Orgis solch autoritäre Bleiben. Und sie erinnert daran, dass deutsche Problemjugendliche auch gerne ins Ausland verschickt werden, weil das oft billiger ist.

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