Werbung für pränatale Tests:Kampagne verwendet Foto eines behinderten Mädchens - ohne zu fragen

Eine "ruhige Schwangerschaft" für 720 Euro: Das verspricht ein Schweizer Unternehmen und bewirbt seinen Bluttest mit dem Foto eines Kindes mit Down-Syndrom. Die Mutter ist empört.

Von Julia Rothhaas

Wenn aus Menschen Eltern werden, macht sie das sehr stolz. Und weil sie dieses Gefühl teilen möchten, verschenken sie selbst gemachte Kalender mit Babybildern, sie posten die lustigsten Sprüche ihres Nachwuchses in sozialen Netzwerken, manchmal schreiben sie auch Blogs über den Wahnsinn mit Kind.

Christie ist eine stolze Mutter. Die rothaarige Kanadierin hat gleich vier Kinder und schreibt in ihrem Blog SoHeresUs.com aus ihrem Leben, über Höhen und Tiefen. Christie ist auch eine vorsichtige Mutter: Ihre Kinder oder sich selbst nennt sie nie beim ganzen Namen, nur selten veröffentlicht sie Bilder von ihnen im Internet.

Dennoch hat jetzt eines von Christies Fotos ein größeres Publikum erreicht, darauf ist ihre Tochter B. zu sehen, die inzwischen zehn Jahre alt ist. Das Schweizer Biotechnologie-Unternehmen Genoma wirbt damit für eines seiner Produkte. "Tranquility", zu deutsch: Ruhe, ein pränataler Test für 720 Euro. Mit Hilfe einer Blutprobe der werdenden Mutter soll damit für eine "ruhige" Schwangerschaft gesorgt werden, fern von dem Gedanken, ob das Kind möglicherweise das Down-Syndrom hat oder eine andere chromosomale Störung.

Wie konnte die Firma ohne Einverständnis mit dem Bild werben?

Christie wurde allerdings nicht gefragt, ob sie einverstanden ist, dass der Konzern mit ihrer Tochter wirbt. Sie hätte vermutlich auch niemals ihr Einverständnis dafür gegeben, denn B. ist ein Kind mit Down-Syndrom.

Der Hinweis, dass ihr Bild für diese Kampagne auf großflächigen Anzeigen und im Internet benutzt wurde, kam aus Madrid. Am vergangenen Donnerstag spazierte Ana Neira durch die Innenstadt, als sie auf das meterhohe Plakat an einem Gebäude mit dem Bild des Mädchens aufmerksam wurde. Sie war empört: Wie konnte eine Firma mit etwas werben, das es mit Hilfe des Produkts eigentlich gar nicht geben soll? "Ich konnte es nicht glauben", erzählte sie der spanischen Tageszeitung La Razón. Neira ist selbst Mutter einer Tochter mit Trisomie 21. Sie fotografierte das Plakat und schickte das Bild und ihren Zorn an weitere betroffene Eltern.

Schnell kochte die Diskussion in Spanien hoch, in Internetforen und sozialen Netzwerken wurde hitzig diskutiert, und schon bald kam die Frage auf: Wie können es Eltern zulassen, ihr Kind für so eine Kampagne zu benutzen? Doch dann erkannte einer der Diskutanten das Mädchen aus Christies Blog und informierte die Familie in British Columbia.

"Es war ein Fehler"

Anfangs machte sich Christie Vorwürfe: Sie hatte das Bild schließlich online gestellt. Bald nach dem ersten Schock wurde ihr aber klar, dass der Fehler nicht bei ihr liegen konnte. Die Familie schaltete einen Anwalt ein, Genoma hat inzwischen das Bild von seiner Webseite genommen und angekündigt, sich zu entschuldigen. "Ich glaube nicht, dass sie absichtlich bösartig gehandelt haben", schreibt Christie in ihrem Blog. "Aber wir reden hier von einem riesigen multinationalen Konzern, ich bin mir sicher, dass sie die Möglichkeit haben, zu überprüfen, ob dieses Bild überhaupt für Werbezwecke gedacht ist."

Offenbar war das Foto auf einer Webseite einer Bildagentur gelandet und dort umsonst zum Download angeboten worden. Genoma ließ die Schweizer Zeitung NZZ wissen: "Das Bild des wunderschön lächelnden Kindes sollte die Botschaft von Leben und Vitalität übermitteln und Leute zum Nachdenken anregen. Es war ein Fehler."

Viele Menschen haben sich bei Christie gemeldet

Als Christie die Nachricht aus Spanien bekam, saß sie gerade am Bett ihrer Tochter - in einer Kinderklinik für Onkologie. B. hat Leukämie. Sieben Monate Chemotherapie liegen bereits hinter dem Mädchen, 19 Monate hat sie noch vor sich.

Wenn Christie ihre Tochter beschreibt, ist von einer Zehnjährigen die Rede, die mal niedlich ist und mal kratzbürstig, so wie Zehnjährige eben sind. Ein starkes Kind, das laut lacht, wenn ihr jemand eine Bürste und Haarklammern schenkt - obwohl sie seit Beginn der Therapie keine Haare mehr hat.

Viele Menschen haben sich bei Christie und ihrer Familie in den vergangenen Tagen gemeldet und Mut zugesprochen. Seit Sonntag hat sie das Bloggen und Twittern erst mal eingestellt. B. muss durch vier Tage Chemo. Statt mit Anwälten zu telefonieren, wird Christie bei ihrer Tochter sitzen, um sie bei ihrem Kampf gegen die Krankheit zu unterstützen.

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