Süddeutsche Zeitung

Missbrauchsskandal:Gesicht einer hilflosen Kirche

Er muss den Opfern zuhören - und seine Bischofskollegen aufrütteln: Stephan Ackermann, der Bischof von Trier, arbeitet für die katholische Kirche an der Aufarbeitung der Tausenden Missbrauchsfälle.

Von Matthias Drobinski

Das Leid geht ihm nahe, das merkt man, und der Zorn ist echt, der da aus ihm herausbricht: "Je mehr Zeugnisse von Betroffenen ich über die Jahre gelesen oder gehört habe, umso mehr sind meine Abscheu und meine Wut gegen diese Art von Verbrechen gewachsen", hat Stephan Ackermann am Dienstag gesagt, bei der Vorstellung der Studie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch katholische Kleriker.

Seit acht Jahren ist der Bischof von Trier auch Beauftragter der Bischofskonferenz für Missbrauchsfälle; seitdem ist es seine Aufgabe, den Frauen und Männern zuzuhören, denen Priester oder Ordensleute Gewalt antaten - und jene Bischofskollegen aufzurütteln, die finden, jetzt müsse mal Schluss sein mit dem leidigen Thema.

Ackermanns Berufung im Jahr 2010 muss man sich ungefähr so vorstellen: Überrollt und gelähmt vom Missbrauchsskandal suchten die Bischöfe hastig einen, der sich des Themas annehmen könnte. Und da war der 47 Jahre junge Mitbruder, noch kein Jahr Bischof, zu freundlich und wohlerzogen, um das Himmelfahrtskommando abzulehnen.

Ackermann hatte zwar an der Elite-Uni Gregoriana in Rom studiert und sieben Jahre in der Priesterausbildung gearbeitet, aber er war eindeutig mehr kirchen- als welterfahren. Der Medienrummel erschreckte ihn, Interviews gab er so gutwillig wie unbeholfen; er war das personifizierte Bild einer Kirche, die verzweifelt die Sprache wiederzufinden versuchte.

Aber er ist hineingewachsen ins Amt, auch, weil er dorthin geht, wo es unangenehm wird, erst recht für verehrungsgewohnte Bischöfe. Im Juni saß er bei einem Hearing von Betroffenen in Berlin - als Zielscheibe der Wut vieler Anwesender auf die Herzlosigkeit vieler Kirchenvertreter: "Für Sie sind wir doch nur Menschenmüll!", schrie ihm einer ins Gesicht. Und er saß da, stellvertretend für die Täter, Vertuscher und Verharmloser, und sagte, dass er so etwas eben aushalten müsse. Auch solche Erfahrungen stärken Ackermanns Auffassung, dass sich in seiner Kirche grundsätzlich etwas ändern muss; er findet, die Kirche müsse sich beim Thema Sexualität und Homosexualität von einer "Verbotsmoral" verabschieden.

Jetzt ist er wieder gefragt, eilt von Interview zu Fernsehauftritt, wie 2010. Er macht das inzwischen souverän und routiniert - und ist doch wie damals das Gesicht einer Kirche, die einigermaßen hilflos nach Antworten sucht auf die Anfragen der Missbrauchsstudie an die Lebensform ihrer Priester und die Überhöhung ihres Amtes. Über die persönliche Betroffenheit hinaus kann er da wenig konkrete Konsequenzen versprechen. Er ist nur einer von 27 Diözesanbischöfen, die letztlich selber entscheiden, was sie nun tun.

Hinschmeißen und die Revolution ausrufen ist nicht sein Ding

Über den Zölibat wird ohnehin in Rom geredet, unter vielen jungen Priesterseminaristen wächst der Klerikalismus eher, als dass er verschwindet. Und dann ist er als Leiter eines Bistums zugleich involviert in die Strukturen, die er kritisiert: Erst im Mai gestand er Fehler im Umgang mit einem Geistlichen ein, der unter Missbrauchsverdacht steht - er hätte dort schneller und klarer handeln müssen.

Als nun die Missbrauchsstudie vorab bekannt wurde, war seine erste beleidigte Reaktion die des Vertreters einer Institution, die auch bei der Aufklärung ihrer Verbrechen die Kontrolle behalten möchte: Die Weitergabe sei "verantwortungslos", klagte Ackermann. Viele der Betroffenen waren dagegen froh, dass die Interpretationshoheit der Kirche aus der Hand genommen war.

Manchmal, jenseits der öffentlichen Auftritte, klagt Stephan Ackermann leise über den Spagat und über das, was ihm an Selbststilisierung und unverbesserlichem Triumphalismus immer noch bei Priestern und Bischöfen begegnet. Doch hinschmeißen und die Revolution ausrufen ist auch nicht sein Ding. Er wird weiter nach Worten suchen, das Unfassbare zu erklären - im Wissen, dass es keine gute Antwort gibt.

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SZ vom 27.09.2018/olkl
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