Süddeutsche Zeitung

Missbrauchsskandal:"Exzessive körperliche Bestrafungsrituale"

Im Skandal um den Jesuiten-Orden haben sich erste Opfer zu Wort gemeldet. Ein Beschuldigter räumte den Missbrauch von Schülern ein. Das Bistum gibt Fehler zu.

Im Missbrauchsskandal an Jesuiten-Schulen haben sich jetzt erstmals Opfer öffentlich zu Wort gemeldet. Ein 45 Jahre alter früherer Schüler des Berliner Canisius-Gymnasiums sagte der B.Z., er sei von einem Lehrer gezüchtigt worden. Er habe fünf Mal hintereinander zehn Schläge auf den nackten Po bekommen. "Dass es sich um sexuellen Missbrauch handelte, da wäre ich damals im Leben nicht darauf gekommen", zitierte das Blatt das Opfer.

Das heute 45 Jahre alte Opfer nannte den Sportlehrer einen sympathischen Kerl und guten Pädagogen. Doch weil der Schüler im Unterricht gestört hatte und ihm ein Schulverweis drohte, habe ihm der Lehrer eine "züchtigende Maßnahme" vorgeschlagen. "Er sagte, die Sache mit den Tadeln sei erledigt, wenn er mir den Hintern versohlen dürfte."

Was dann passierte, beschrieb der 45-Jährige folgendermaßen: "Zehn Schläge auf den nackten Po, fünf Mal hintereinander. Es hat richtig wehgetan." Während der Prozedur sei die Tür aufgegangen, und jemand habe ein Foto gemacht.

Zuvor hatte der ranghöchste Jesuit in Deutschland, Pater Stefan Dartmann, eingeräumt, dass der Orden frühzeitig Hinweise auf Übergriffe dieses Sportlehrers und auch eines Religionslehrers hatten.

Opfer in Deutschland, Spanien und Chile

Beide unterrichteten in den 70er und 80er Jahren an der Berliner Eliteschule. Dort soll es laut Schulrektor Klaus Mertes mindestens 20 Fälle von sexuellem Missbrauch geben haben. Inzwischen hat auch das Bistum Hildesheim schwere Fehler eingeräumt. Zwei Missbrauchsvorwürfe gegen den jahrelang im Bistum eingesetzten Pater Peter R. seien in den 90er Jahren nicht verfolgt worden, sagte Generalvikar Werner Schreer an diesem Dienstag. "Aus heutiger Sicht haben wir die Vorwürfe zu wenig ernst genommen und die Tragweite der weiteren Entwicklungen eindeutig unterschätzt", erklärte der damalige Bischof Josef Homeyer. "Ich bedaure dies zutiefst." Das Bistum prüft derzeit, ob der Pater weitere Menschen sexuell missbraucht hat. Schreer rief mögliche Opfer auf, sich zu melden.

Der beschuldigte Sportlehrer hat nach Angaben seines Ordensführers 1992 die Jesuiten verlassen. In einem Fragebogen habe er nicht nur Missbräuche in Berlin, Hamburg und St. Blasien, sondern auch in Chile und Spanien eingeräumt. Es habe sich um "exzessive körperliche Bestrafungsrituale" gehandelt, berichtete die Rechtsanwältin Ursula Raue, die im Auftrag der Jesuiten die Vorfälle untersucht.

Derselbe Lehrer wird außerdem verdächtigt, drei Schüler der katholischen Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg und zwei Schüler in St. Blasien im Schwarzwald sexuell belästigt zu haben.

Mordanschlag durch ehemaliges Opfer

Bei dem zweiten mutmaßlichen Täter, dem Religionslehrer, gibt es laut Ordensleitung Hinweise darauf, dass er nach seiner Zeit in Berlin sowohl in Mexiko als auch in Göttingen und Hildesheim Mädchen unsittlich berührt hat. Dieser Pater verlies den Orden 1985.

Ein Jahr später wurde auf ihn ein Mordanschlag verübt, den er laut Dartmann leicht verletzt überlebte. Der Täter soll laut Medienberichten ein ehemaliger Schüler gewesen sein, der schließlich Selbstmord verübt habe. Der Lehrer lebt heute als Rentner in Berlin und hat alle Missbrauchsvorwürfe als falsch zurückgewiesen.

Einen seiner Schüler (Abschluss-Jahrgang 1980), der sich im Alter von 14 Jahren auf den Schoß des Lehrers setzen musste, zitierte die Bild-Zeitung mit den Worten: "Ich sagte Nein - an mehr erinnere ich mich nicht."

Die Vorfälle soll jetzt die Rechtsanwältin Raue in Gesprächen mit Opfern und Tätern aufklären. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch sexueller Missbrauch ohne Vergewaltigung verjährt in Deutschland zehn Jahre nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers.

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apn/kat/woja
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