Missbrauchsfall Staufen:Die Strafen sind hoch, aber nicht hoch genug

Das Urteil im Fall Staufen ist angemessen, aber die Haftstrafen sind noch nicht ausreichend. Der Staat ist es seinen Bürgern schuldig, Fehler der Behörden jetzt schonungslos aufzuklären.

Kommentar von Heribert Prantl

Wenn das Elternrecht sich in schreiendes Elternunrecht verwandelt, wenn Eltern zu Verbrechern an ihrem Kind werden - dann muss der Staat das Kind schützen, mit aller Kraft; dann muss der Staat dem Kind Vater und Mutter und Vormund sein. Er muss die Kinder vor ihren Eltern schützen, wenn ihnen von den Eltern Schreckliches angetan wird. Der Fall Staufen hätte ein solcher Fall sein müssen; aber der Staat hat seine Schutzpflicht verletzt. Der Staat war in diesem Fall nicht Vater, nicht Mutter, nicht Vormund - er war ein Versager.

Ein Junge ist jahrelang von seiner Mutter und von deren Lebensgefährten missbraucht und pädophilen Männern im Internet zur Vergewaltigung angeboten worden. Der Staat hat das missbrauchte Kind in die häusliche Missbrauchshölle zurückgeschickt, weil die zuständigen Behörden ungenügend zusammengearbeitet haben, weil Jugendfürsorge, Staatsanwaltschaft und Gerichte nur in ihren eigenen jeweiligen Rastern dachten und arbeiteten, weil also strukturelle Probleme rechtzeitige Aufklärung und Rettung verhindert haben. Alles ging jahrelang seinen Gang, aber es war ein Gang ins Desaster.

Dieses Desaster ist mit dem Urteil des Landgerichts Freiburg gegen die Missbrauchs-Mutter und ihren Lebensgefährten mitnichten geklärt. Geklärt ist nur deren Schuld, nicht die Schuld und die Verantwortung von Behörden; gesprochen ist das Urteil über die Mutter und ihren Lebensgefährten nach einer akkuraten und aufklärungsstarken Verhandlung. Dieses Urteil ist, auch wenn es langjährige Freiheitsstrafen verhängt, ein mildes Urteil: zwölf Jahre und sechs Monate für die Mutter, zwölf Jahre für ihren einschlägig vorbestrafen Lebensgefährten - das ist hoch, aber nicht hoch genug.

Die Höchststrafe für den besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern liegt bei 15 Jahren. Wann, wenn nicht in diesem Fall, soll denn bitte die Höchststrafe verhängt werden?

Der Staat schuldet seinen Bürgern mehr als ein Urteil gegen die Täter

Dem Verfahren zugrunde lagen schwerste Sexualverbrechen am eigenen Kind sowie Zwangsprostitution in knapp sechzig Fällen; des Weiteren mussten sich die Angeklagten wegen des sexuellen Missbrauchs eines dreijährigen Mädchens verantworten. Nur bei schwerster Schuld, so sagt es die Rechtsprechung, darf die Höchststrafe verhängt werden. Ist eine noch schwerere Schuld denkbar als diejenige, die die Mutter und ihr Lebensgefährte auf sich geladen haben? Sie waren so eiskalt und so unerhört gemein und grausam, dass einem das Herz stockt. Der Missbrauchs- und Vergewaltigungsring, den sie im Darknet aufgebaut haben, wurde aufgedeckt. Aber auch die sogenannten Kunden dieses Missbrauchs- und Vergewaltigungsrings wurden bisher von den Strafgerichten nicht wirklich hart angefasst - mit Strafen zwischen nur siebeneinhalb und zehn Jahren. Diese Strafen sind angemessen, aber nicht ausreichend.

Aber auch die Höchststrafen könnten das nicht ersetzen, was noch aussteht: Fehleranalyse und Ursachenforschung. Der Staat schuldet seinen Bürgern nicht nur ein Urteil gegen die Täter, er schuldet ihnen auch Rechenschaft und Transparenz - er schuldet ihnen eine schonungslose Untersuchung der Fehler der Behörden. Er schuldet ihnen das Versprechen, aus dem Fall für die Zukunft zu lernen.

Wie das geht? Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident Baden-Württembergs, wird darauf drängen müssen, dass der Landtag einen Untersuchungsausschuss mit umfassendem Untersuchungsauftrag einsetzt. Diese Untersuchungen können nicht auf die Strafgerichte abgewälzt werden. Es gilt, das strukturelle Versagen von Jugendhelfern, Jugendamt, Familiengericht und Staatsanwaltschaft zu durchleuchten, festzustellen und abzustellen, in einer gemeinsamen Anstrengung der Staatsgewalten. Dazu bedarf es auch eines Landesvaters, der dieses Wort Landesvater ernst nimmt.

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