Missbrauchsfall Staufen:Chronologie eines ungeheuerlichen Verbrechens

Staufen im Breisgau

Das LKA hatte den Fall aus Staufen als die schlimmste Tat von Kindesmissbrauch eingestuft, die je in seine Zuständigkeit fiel.

(Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Der Missbrauchsfall von Staufen schockiert sogar erfahrene Ermittler. Ihren Anfang nahm die Geschichte bereits im Jahr 2005, nun fällt das Urteil gegen eine Mutter und ihren Lebensgefährten.

Es ist ein beispielloser Fall von Kindesmissbrauch: In Staufen nahe Freiburg sollen eine Mutter und ihr Lebensgefährte, wegen Kindesmissbrauch bereits vorbestraft, den eigenen Sohn über Jahre missbraucht und ihn gegen Geld im Internet angeboten haben. Die Polizei befreit den Neunjährigen schließlich aus seinem Martyrium. Die Ermittler beenden damit ein Verbrechen mit erschreckenden Dimensionen, die erst Stück für Stück öffentlich werden. Acht Beschuldigte gibt es in dem Fall, nun endet der Prozess gegen die Mutter Berrin T. und Christian L. Eine Chronologie der Ereignisse:

März 2005

Christian L., damals 26 Jahre alt, wird zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Auf seinem Computer und auf seinem Handy hat die Polizei kinderpornografisches Material gefunden. Ihm wird deshalb auferlegt, eine Therapie gegen seine sexuellen Neigungen zu machen. Vor Gericht erklärt L. sich dazu bereit.

August 2010

Christian L. wird zum zweiten Mal verurteilt: Diesmal, weil er ein 13-jähriges Mädchen missbraucht hat. Die Richterin lehnt eine Sicherungsverwahrung ab. "Sie haben eine Chance verdient", sagt sie. L. hatte gestanden und scheint zur Therapie bereit.

20. Februar 2014

L. wird aus der JVA Freiburg entlassen. Er gilt als rückfallgefährdet und darf nur unter Aufsicht eines Erziehungsberechtigten Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen haben.

Anfang 2015

Nach seiner Haftentlassung werden Christian L. und Berrin T. ein Paar. Im Laufe des Jahres beginnt L. der Staatsanwaltschaft zufolge den Sohn von T. zu missbrauchen. Eine Bekannte von L. sagt der Badischen Zeitung, er sei sowohl von seinem Bewährungshelfer als auch von seiner Familie darauf hingewiesen worden, dass er nicht mit dem Jungen allein sein darf.

August 2016

Christian L. beantragt die Aufhebung des Kontaktverbotes zu Kindern, das wird ihm verweigert. Einen Monat später zieht er trotzdem mit Berrin T. und deren Sohn in eine gemeinsame Wohnung in einer Kleinstadt nahe Freiburg.

März 2017

Das Jugendamt nimmt Berrin T.s Sohn in seine Obhut. Gegen L. läuft ein Ermittlungsverfahren, weil ein Kriminalpolizist das Amt darauf aufmerksam gemacht hat, dass er bei T. wohnt. Der Junge bleibt vier Wochen bei der Bereitschaftspflege, dann wird er zurückgeschickt, weil seine Mutter der Maßnahme widersprochen hat.

April 2017

Berrin T. erhält die Auflage, nach der Rückkehr ihres Sohnes dafür zu sorgen, dass L. die gemeinsame Wohnung nicht mehr betritt. Das Jugendamt beteuert, es habe bei dem Jungen keinerlei Anzeichen von Missbrauch gegeben. Berrin T. muss sich in psychiatrische Behandlung begeben.

Juni 2017

Christian L. wird zum dritten Mal verurteilt. Wegen Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen soll er vier Monate in Haft, Er legt Berufung ein, das Urteil wird nicht rechtskräftig. Trotz weiterhin bestehenden Kontaktverbots lebt er mit Berrin T. und deren Sohn zusammen.

10. September 2017

Beim Bundeskriminalamt geht ein anonymer Hinweis ein: Der neunjährige Sohn von Berrin T. soll missbraucht worden sein. Die Ermittlungen beginnen. Fünf Tage später finden die Ermittler den Jungen. Er wird in die Obhut des Jugendamts übergeben.

16. September 2017

Eine Spezialeinheit der Polizei nimmt Christian L. vor einem Supermarkt fest. Auch Berrin T. wird verhaftet. Die beiden sollen sich der Staatsanwaltschaft zufolge an dem Jungen vergangen und ihn an andere Männer verkauft haben.

17. September bis November 2017

Ein Schweizer, ein Spanier und zwei Deutsche werden im Zusammenhang mit dem Fall wegen "Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Vergewaltigung in einer Vielzahl von Einzelfällen" festgenommen. Am Ende der Ermittlungen sitzen acht Beschuldigte in Untersuchungshaft.

11. Januar 2018

Der Fall wird öffentlich - unmittelbar danach wird erhebliche Kritik an den Behörden laut. Das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg stuft den Fall als die schlimmste Tat von Kindesmissbrauch ein, die je in seine Zuständigkeit fiel.

22. März 2018

Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Christian L. und Berrin T. Ihnen werden schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, schwere Vergewaltigung, schwere Zwangsprostitution sowie Verbreitung, Besitz und Erwerb kinderpornografischer Schriften zur Last gelegt. Zudem wird bekannt, dass es offenbar ein zweites Opfer gibt: Die Anklageschrift umfasst auch vier Fälle des sexuellen Missbrauchs eines dreijährigen Mädchens, an denen beide Beschuldigte beteiligt gewesen sein sollen.

19. April 2018

Es gibt ein erstes Urteil in dem Fall: Der 41-jährige Markus K. wird wegen schwerer Vergewaltigung verurteilt und muss zehn Jahre ins Gefängnis - mit anschließender Sicherungsverwahrung. Womöglich kommt er nie wieder frei. Der psychiatrische Gutachter bescheinigt ihm eine "schicksalhafte homosexuelle Pädophilie". Er hat Kindern nicht zum ersten Mal Gewalt angetan: Bereits 2010 war er zu mehrjähriger Haft wegen Vergewaltigung eines Zehnjährigen verurteilt worden.

16. Mai 2018

Der zweite Angeklagte im Staufener Missbrauchsfall wird vor dem Landgericht Freiburg zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Der 50-jährige Bundeswehrsoldat hatte den Jungen zweimal vergewaltigt, die Taten gefilmt und das kinderpornografische Material anschließend im Internet verbreitet.

6. Juni 2018

50 Euro für drei Vergewaltigungen: In dem Missbrauchsfall steht ein dritter Mann vor Gericht. Er stammt aus der Schweiz. Christian L. sagt in dem Prozess als Zeuge aus. Er habe von den Männern für Vergewaltigungen zwar Geld erhalten, das habe jedoch nicht im Vordergrund gestanden. "Es ging mir nicht nur ums Finanzielle. Es steckten auch sexuelle Motive dahinter." Es habe ihn erregt, den Jungen gemeinsam mit anderen zu missbrauchen. "Ich habe Riesenmist gebaut." Nun sage er bewusst gegen seine Mittäter aus und kämpfe für Haftstrafen. "Das ist mein Beitrag für Gerechtigkeit."

11. Juni 2018

Nun steht auch Christian L. als Angeklagter vor Gericht, gemeinsam mit Mutter Berrin T. Die Einzelheiten der 58 Taten, die die Anklage T. und L. vorwirft, sind kaum zu ertragen. Sie vorzulesen, dauert mehr als 100 Minuten, sie rechtlich zu würdigen, fast zwei weitere Stunden. Christian L. sagt im Gegensatz zu Berrin T. öffentlich aus - und spielt sich erneut vor Gericht als Aufklärer auf.

Die Mutter wirkt bei ihrem ersten Auftritt vor Gericht verwahrlost. Das Bild, das die beiden Staatsanwältinnen von Berrin T. entwerfen, ist zudem nicht das Bild einer Mutter. Es ist das Bild einer Täterin, die sich entschlossen hat, ihr Kind aufzugeben, zu brechen und zu verkaufen. Für Geld? Für die Liebe dieses Mannes? Für die eigene, perverse Lust? Das müsste Berrin T. erklären, sie hilft aber offenbar wenig bei der Aufklärung mit. "Blinder Fleck", so haben die Behörden sie genannt, als sie gefragt wurden, warum sie diesen Jungen nicht früher haben retten können.

29. Juni 2018

In Karlsruhe wird ein 44-jähriger Mann aus Wulfsdorf zu acht Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Der Angeklagte hatte Christian L. online kontaktiert und soll nicht nur gefragt haben, ob er das Kind missbrauchen könne, sondern auch, ob er den Jungen töten dürfe. Zu der Tat kam es aber nicht. Der 44-Jährige wird dennoch verurteilt. Wegen Verabredung zum sexuellen Missbrauch eines Kindes, die Tötungsphantasien kann das Gericht nicht belegen.

2. Juli 2018

Der Schweizer wird zu neun Jahren Haft verurteilt. Zudem ordnet das Landgericht in Freiburg eine Sicherungsverwahrung sowie die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 14 000 Euro an. Das Geld geht an das Opfer der Taten.

5. Juli 2018

Im Prozess gegen Christian L. und Berrin T. widmet sich das Landgericht Freiburg der Frage: Wie konnte der Angeklagte zwei Jahre lang ungestört seinen Stiefsohn missbrauchen - und welche Schuld trifft die Behörden? Der Sachbearbeiter des Jugendamts sagt vor Gericht aus, dem Opfer "geht es gut. Das ist mein Eindruck, das bekomme ich auch von den betreuenden Personen und vom Vormund gemeldet". Der Junge, er wird bald zehn Jahre alt, habe guten Kontakt zu den Menschen, die sich jetzt um ihn kümmern, sehe seine erwachsene Halbschwester regelmäßig.

13. Juli 2018

Das Landgericht Freiburg beendet seine Beweisaufnahme. Die Staatsanwaltschaft fordert vierzehneinhalb Jahre Haft für die Mutter, ihr Lebensgefährte soll dreizehneinhalb Jahre ins Gefängnis, sagt Staatsanwältin Nikola Novak in ihrem Plädoyer. Zudem soll für den 39-Jährigen anschließende Sicherungsverwahrung verhängt werden. Für die Mutter fordert Novak dies nicht. Die Anwältin des Lebensgefährten spricht sich für neun Jahre Haft mit Sicherungsverwahrung aus. Darum habe ihr Mandant ausdrücklich gebeten. Er wolle therapiert werden. Wieder einmal.

20. Juli 2018

Das Gericht will sein Urteil gegen Christian L. und Berrin T. Anfang August verkünden. Außerdem muss sich noch ein 33 Jahre alter Mann aus Spanien vor dem Freiburger Landgericht verantworten. Auch er soll den Jungen mehrmals vergewaltigt und dafür Geld bezahlt haben. Den Justizbehörden zufolge ist dies der siebte und damit letzte Prozess in dem Missbrauchsfall von Staufen.

03. August 2018

Das Landgericht Freiburg hat die Beweisaufnahme in Bezug auf den 33-jährigen Spanier beendet. Der Angeklagte hat seine Taten gestanden. Er gab zu, den heute 10-jährigen Jungen mindestens 15 Mal vergewaltigt und dafür mehr als 10 000 Euro bezahlt zu haben. "Ich bin dafür verantwortlich und schuldig", sagte der Spanier, der für die Missbrauchstaten von Anfang September 2016 bis August 2017 mehrfach nach Staufen gereist war. Er habe zusätzlich die sexuellen Übergriffe gefilmt und über das Darknet verkauft.

Am 06. August soll in Freiburg das Urteil verkündet werden. Staatsanwaltschaft und Anwältin des Missbrauchsopfers haben zwölf Jahre Gefängnis mit eventueller Sicherheitsverwahrung gefordert. In Spanien wurde der Angeklagte 2014 bereits zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil er Kinderpornographie besessen hatte.

07. August 2018

Das Gericht spricht das Urteil. Berrin T. muss zwölfeinhalb Jahre, Christian L. zwölf Jahre in Haft. Bei ihm wird zusätzlich Sicherungsverwahrung angeordnet. Damit bleibt die Kammer etwas unter den Fordeurngen der Staatsanwaltschaft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: