Missbrauchskomplex Münster:Von der Mutter geopfert

Prozess Missbrauchskomplex Münster gegen Mutter eines Opfers

Zu Prozessbeginn Anfang August stritt Sabrina K. noch ab, von dem schweren sexuellen Missbrauch ihres Sohnes etwas gewusst zu haben.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Fast zwei Jahre lang soll Sabrina K. gewusst haben, dass ihr Lebensgefährte ihren Sohn vergewaltigt - und nichts dagegen unternommen haben. Jetzt wurde sie zu mehreren Jahren Gefängnis wegen Beihilfe verurteilt.

Von Kerstin Lottritz

Bislang hatte sie immer alles abgestritten. Sieben Verhandlungstage lang hat Sabrina K. seit Prozessbeginn Anfang August beharrlich darauf bestanden, nichts zu wissen. Die Vorwürfe, wegen derer sie sich vor dem Landgericht Münster zu verantworten hatte, wiegen schwer. Sie soll Beihilfe zum sexuellen Missbrauch ihres Sohnes geleistet haben, und zwar fast zwei Jahre lang. In dem gesamten Ermittlungsverfahren zu dem Fall, der im Juni 2020 der Öffentlichkeit als der Missbrauchskomplex Münster bekannt geworden war, hat die 32-jährige Sabrina K. keinen besonders kooperativen Eindruck bei den Ermittlern hinterlassen. Im Gegenteil.

Nun ist sie verurteilt worden. Wegen Beihilfe durch Unterlassung muss die 32-Jährige für sieben Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Nach Überzeugung des Landgerichts Münster wusste die Mutter Bescheid, dass ihr Lebensgefährte ihren Sohn schwer sexuell missbrauchte, und verhinderte die Taten nicht, hieß es in der Urteilsbegründung. Damit liegt das Gericht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von zehn Jahren gefordert hatte. Einer der zwei Verteidiger hatte auf sechs Jahre plädiert, der andere sich lediglich für eine milde Strafe ausgesprochen.

Teilgeständnis kam überraschend

In der vergangenen Woche legte Sabrina K. für Prozessbeobachter überraschend ein Teilgeständnis ab, noch schnell vor dem Plädoyer des Staatsanwalts. Sabrina K., die bis dahin vor Gericht nur Angaben zu ihrer Person gemacht hatte, gab unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu, von Oktober 2019 an den sexuellen Missbrauch ihres heute zwölfjährigen Sohnes durch ihren Lebenspartner für möglich gehalten zu haben.

Mehr sagte sie dazu nicht. Nichts zu dem Vorwurf, sie habe ihren Sohn über Jahre hinweg nicht geschützt, nichts zu dem Vorwurf, sie habe in mehreren Fällen den sexuellen Missbrauch mitbekommen, ihn aber nicht verhindert. Und auch nichts zu dem Vorwurf, sie habe selbst sexuelle Handlungen an ihrem Sohn vorgenommen. Das Teilgeständnis vergangene Woche endete damit, dass die Mutter ihr Bedauern äußerte. Der späte Zeitpunkt ihres Einlenkens kam vor Gericht nicht besonders positiv an.

Die Ermittlungen hatten ergeben, dass Sabrina K. schon viel länger von den Missbrauchstaten gewusst haben muss, als sie schließlich zugab. Im Oktober 2018 soll ihr Lebensgefährte Adrian V. ihr diese in einem gemeinsamen Urlaub in Dänemark gestanden haben. Dennoch soll sie ihm weiter das Kind ungeschützt überlassen haben. In der Anklageschrift waren außerdem fünf schwere Übergriffe aufgeführt, die Sabrina K. mitbekommen, aber nicht verhindert haben soll. Vereinzelt soll sie ihr Kind dabei auch zu sexuellen Handlungen mit V. aufgefordert haben. Diese Vorwürfe wurden während des Prozesses fallen gelassen, sie ließen sich nicht eindeutig beweisen.

Ermittlungen nach schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern

Die Gartenlaube, in der Adrian V. die Vergewaltigung des Sohns seiner Lebensgefährtin filmte, ist mittlerweile abgerissen worden.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Als erwiesen sah das Gericht aber an, dass Sabrina K. Beihilfe durch Unterlassen zum sexuellen Kindesmissbrauch geleistet hat. Weil sie ihren Sohn immer wieder Adrian V. überließ, konnte er den Jungen laut Anklageschrift "unzählige Male" vergewaltigen. Die Taten erfolgten meist in der gemeinsamen Wohnung, in Abwesenheit der Mutter. Aber auch in jener Gartenlaube in Münster, die V.s Mutter gehörte und deren Foto zum Sinnbild des Missbrauchsfalles wurde. Außerdem soll Sabrina K. ihrem Lebensgefährten erlaubt haben, ihren Sohn mit auf Reisen quer durch Deutschland zu nehmen. In deren Verlauf habe er den Jungen auch anderen Männern zum sexuellen Missbrauch überlassen.

Vor der Beziehung mit Sabrina K. war Adrian V. schon zwei Mal wegen Verbreitung von Kinderpornografie verurteilt worden. Sabrina K. hatte davon gewusst. Das Jugendamt der Stadt Münster hatte sie gewarnt, dann aber nichts mehr unternommen, weil man offenbar davon ausging, die Mutter werde ihr Kind schon schützen. Doch das Gegenteil war der Fall: Sabrina K. übertrug ihrem Lebensgefährten, so berichtet es der WDR, schriftlich sogar weitreichende erzieherische Rechte. So kümmerte sich Adrian V. um die schulischen Dinge des Kindes und hielt den Kontakt zu den Lehrern.

Sabrina K. kooperierte kaum bei der Ermittlungsarbeit

Wenig Kooperation zeigte Sabrina K. übrigens auch, als die Polizei am 13. Mai 2020 in ihre Wohnung eindrang, in der Hoffnung, dort den damals zehnjährigen Jungen zu finden. Doch sie erklärte, sie wisse nichts über seinen Aufenthaltsort. Ein Polizist berichtete als Zeuge vor Gericht, man habe "mit Engelszungen auf die Mutter eingeredet". Aber sie habe nicht bei den Ermittlungen geholfen. "Es wurde deutlich, dass sie gegen uns arbeitet."

Der Verdacht, die Mutter müsse von den Missbrauchstaten gewusst haben, blieb neun Monate lang ein Verdacht, der sich zunächst nicht erhärten ließ. Erst im Februar 2021 wurde Sabrina K. festgenommen. Die Auswertung von sichergestelltem Datenmaterial sowie die Aussage eines Tatverdächtigen aus Aachen hatten die Ermittler zu der Annahme gebracht, die Mutter habe die sexuellen Missbrauchstaten seit November 2018 billigend in Kauf genommen.

Adrian V. ist bereits zu 14 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Er gilt als Haupttäter im Missbrauchskomplex Münster, der neben Lügde und Bergisch Gladbach der dritte große Missbrauchsfall binnen kurzer Zeit in Nordrhein-Westfalen ist. Insgesamt haben die Ermittler im Tatkomplex Münster bislang mehr als 50 Tatverdächtige identifiziert, von denen mehr als 30 in Untersuchungshaft sitzen. Unter anderen musste sich bereits eine zweite Mutter vor dem Landgericht Münster verantworten: die Mutter von Adrian V., die ihrem Sohn ihre Gartenlaube zur Verfügung stellte, in dem Wissen, was er dort trieb. Sie wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder sind Frauen als (Mit-)Täterinnen immer noch selten im Blick der Ermittler. Auch im Missbrauchskomplex Münster sehen die Ermittler die Mutter des Kindes sowie die Mutter des Haupttäters nur als passive Mitwisserinnen an, die wegen Beihilfe verurteilt wurden. Dabei hat etwa die Mikado-Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2015 ergeben, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder in 20 Prozent der Fälle von Täterinnen ausgeht. Oftmals stehen Frauen, die in solche Taten verwickelt sind, in einer großen Abhängigkeit zu einem männlichen (Haupt-)Täter. So scheint es auch im Fall von Sabrina K. gewesen zu sein. Obwohl das Jugendamt der Stadt Münster sie gewarnt hatte, beendete sie die Beziehung zu Adrian V. nicht. Sie habe es einfach nicht geschafft, sich von ihm zu trennen, soll sie in ihrem Teilgeständnis gesagt haben.

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