Süddeutsche Zeitung

Missbrauchsfall in Münster:"Unfassbare Bilder"

Ein 27-jähriger IT-Techniker aus Münster soll mit Komplizen über Jahre drei Kinder schwer sexuell missbraucht haben - das zeigt die erste Auswertung einer riesigen sichergestellten Datenmenge.

Von Kerstin Lottritz

Eine weißgetünchte Gartenlaube in Münster. Vor allem hier, in der Abgeschiedenheit der Kleingartenanlage, sollen sich in den vergangenen zwei Jahren unzählige Male schwere Missbrauchstaten an kleinen Jungen zugetragen haben. Seit mehr als drei Wochen ermittelt die Polizei in einem Missbrauchsfall, der sich über mehrere Bundesländer erstreckt. Drei Kinder im Alter von fünf, zehn und zwölf Jahren konnten bislang als Opfer identifiziert werden. Es seien elf Tatverdächtige festgenommen worden, sagte Polizeipräsident Rainer Furth am Samstag in Münster.

Gegen sieben Beschuldigte wurde Untersuchungshaft angeordnet. Es handelt sich um sechs Männer und eine Frau. Der Hauptbeschuldigte ist ein 27-Jähriger aus Münster. Bei der tatverdächtigen Frau handelt es sich um dessen 45-jährige Mutter aus Münster. Außerdem sitzen fünf Männer zwischen 30 und 43 Jahren aus Staufenberg, Hannover, Schorfheide, Kassel und Köln im Gefängnis.

Im Mittelpunkt der bisherigen Ermittlungen steht die Gartenlaube. Hier sollen der 27-Jährige und drei weitere der Tatverdächtigen beispielsweise in der Nacht vom 25. auf den 26. April 2020 den zehn- und den fünfjährigen Jungen über Stunden hinweg schwer missbraucht haben. Eine Überwachungsanlage filmte die Taten. Die komplette Video-Technik und dazugehörige Speichermedien haben die Ermittler in einer doppelten Decke in der Gartenlaube gefunden. "Wir haben Hinweise darauf, dass die Kinder sediert worden sind", sagte Ermittlungsleiter Joachim Poll. Körperliche Verletzungen hätten die Kinder nicht davongetragen.

Jugendamt hatte früher Kontakt zu Familie von Missbrauch-Opfer

Alle Opfer stammen aus dem nahen Umfeld der Tatverdächtigen. Der Beschuldigte aus Kassel steht im Verdacht, seinen zwölfjährigen Neffen missbraucht zu haben. Bei dem Fünfjährigen handelt es sich um den Sohn des Beschuldigten aus Staufenberg. Der zehnjährige Junge gilt als das Hauptopfer. Er ist das Kind der Lebensgefährtin des 27-jährigen Münsteraners. Dieser soll ihn auch den anderen Männern zum Missbrauch überlassen haben. "Er ist verkauft worden von demjenigen, der ihn behüten sollte", sagte Poll.

Wie am Samstag bekannt wurde hatte das Jugendamt der Stadt Münster bereits Kontakt zu der Familie von einem der Opfer. Diese sei den Behörden bekannt, "weil der soziale Kindsvater wegen des Besitzes und des Vertriebs pornografischer Daten aufgefallen war", teilte die Stadt mit. 2015 habe das Familiengericht aber keinen Anlass gesehen, das Kind aus der elterlichen Verantwortung zu nehmen.

Die Gartenlaube in Münster, wo sich ein Großteil der Taten abspielte, gehört der 45-jährigen Mutter des mutmaßlichen Haupttäters. Sie soll ihrem Sohn den Schlüssel überlassen haben, in dem Wissen, was er dort vorhabe.

Hochprofessionell verschlüsselte Daten

Der 27-Jährige war in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld für die IT-Technik zuständig. In seinem Keller in Münster fand die Polizei einen komplett eingerichteten, klimatisierten Serverraum. Die Datenträger seien hochprofessionell verschlüsselt worden, sagte Kriminalhauptkommissar Poll bei der Pressekonferenz. Das Speichervolumen liegt nach ersten Erkenntnissen bei mehr als 500 Terabyte.

"Unfassbare Bilder" hätten die Ermittler sehen müssen, so Poll. Der sichtlich mitgenommene Polizeipräsident Furth sprach von "abscheulichem Dreck". Selbst erfahrene Ermittler seien an ihre Grenzen gekommen. "Diese Menschen, wenn man sie überhaupt so nennen kann", so Ermittlungsleiter Poll, würden perfide agieren; sie hätten "absolut sichere Handys", mit denen Anrufe und Nachrichten nur schwer nachzuvollziehen seien. Den Ermittlern sei es bis heute nicht gelungen, alle sichergestellten Daten zu entschlüsseln.

Der mutmaßliche Haupttäter ist bereits 2016 von einem Jugendschöffengericht zu einer Bewährungsstrafe wegen der Verbreitung von kinderpornografischem Material verurteilt worden. In einem zweiten Verfahren 2017 bekam der Mann wieder eine Bewährungsstrafe. Seine Bewährungsauflagen sahen unter anderem eine Therapie für die offensichtlich bestehenden pädophilen Neigungen vor. Dieser Auflage ist der Beschuldigte nachgekommen, der Bewährungshelfer hatte dem Beschuldigten sogar eine vertrauensvolle Zusammenarbeit attestiert.

Am 14. Mai nahmen die Ermittler den Mann wegen des Verdachts des schweren Missbrauchs von Kindern fest. Nach den bisherigen Ermittlungen werden ihm 15 Taten im Zeitraum zwischen November 2018 und Mai 2020 vorgeworfen. Er soll die gefilmten Taten über das Darknet verbreitet haben.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war offenbar ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt aus dem Jahr 2018. Damals habe bereits eine unbekannte Person Daten mit Kinderpornografie übers Internet angeboten. Über eine ermittelte IP-Adresse führte die Spur dann zu dem landwirtschaftlichen Betrieb im münsterländischen Kreis Coesfeld, wo der 27-Jährige arbeitete.

Durchsuchung in Brandenburg

Nordrhein-Westfalen war seit Anfang 2019 wegen mehrerer Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in die Schlagzeilen geraten. Auf einem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe hatten mehrere Männer Kinder hundertfach über Jahre schwer sexuell missbraucht. Ermittlungen zu einem bundesweiten Kinderpornografie-Tauschring hatten im Oktober 2019 in Bergisch Gladbach bei Köln begonnen und erstrecken sich mittlerweile auf sämtliche Bundesländer.

Auch diesmal geht der Fall weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. Auch im Ortsteil Finowfurt der Gemeinde Schorfheide (Barnim) in Brandenburg hatte es am Freitag Durchsuchungen im Wohnhaus eines Tatverdächtigen und in einem Kleingarten gegeben. Der Tatverdächtige lebte mit Frau und zwei Söhnen dort. Erste Hinweise auf den Mann habe das zehnjährige Opfer gegeben, berichteten die Ermittler.

Im Auto des Hauptverdächtigen sei dann die Adresse in Brandenburg gefunden und das Fahrzeug des 27-Jährigen sei auch in der Nähe von Schorfheide bemerkt worden. "Aber das waren noch keine belastbaren Beweise", sagte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Der Mann sei dann auf einem Video, das in Münster gedreht wurde, erkennbar gewesen. Daraufhin habe man ihn festnehmen können.

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