Missbrauchsfall:Erstes Lügde-Urteil - Staatsanwaltschaft beantragt Revision

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Heiko V. wurde am Mittwoch wegen Anstiftung und Beihilfe zum sexuellen und schweren Missbrauch von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. (Foto: Getty Images)
  • Nach dem ersten Urteil im Missbrauchsfall Lügde hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Revision gestellt. Das Landgericht Detmold hatte einen 49-Jährigen zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.
  • NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) kritisierte, dass es bei einem solchen Vergehen eine Bewährungsstrafe geben könne.
  • Das Amtsgericht Detmold hat derweil einen anderen Prozess gegen einen Angeklagten im Missbrauchsfall eingestellt. Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt selbst Opfer im Missbrauchsfall Lügde gewesen.

Vor mehr als acht Jahren hatte der 49-jährige Heiko V. aus Stade in vier Fällen per Webcam den sexuellen Missbrauch eines Kindes beobachtet und den Dauercamper Andreas V. auch dazu angestiftet. Das Landgericht Detmold hatte Heiko V. deswegen am Mittwoch schuldig gesprochen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Als freier Mann verließ der Verurteilte das Gericht.

Nach diesem ersten Urteil im Missbrauchsfall Lügde hat die Staatsanwaltschaft Detmold nun, einen Tag später, einen Antrag auf Revision gestellt. Das sagte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Das Landgericht Detmold hatte den 49-Jährigen am Mittwochabend wegen Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch und Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Und ihn außerdem auch wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften schuldig gesprochen; die Ermittler hatten in seiner Wohnung mehr als 42 000 Bild - und Videodateien gefunden. Die Staatsanwaltschaft hatte mit zwei Jahren und neun Monaten eine deutlich höhere Strafe gefordert, bei der keine Bewährung möglich ist. Strafmildernd hatte sich im Fall von Heiko V. ausgewirkt, dass er ein Geständnis abgelegt hatte, nicht vorbestraft war und therapiewillig ist.

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Das Landgericht Detmold verurteilt den 49-jährigen Heiko V. wegen Anstiftung zu schwerem sexuellen Missbrauch und der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern. Sein Verfahren wurde von dem Hauptprozess abgetrennt.

Von Jana Stegemann

Für die Revisionsbegründung habe die Staatsanwaltschaft vier Wochen Zeit, nachdem das schriftliche Urteil des Landgerichts eingegangen ist, erklärte Sprecherin Johanna Dämmig. Sollte die Staatsanwaltschaft bei der Revision bleiben, würde der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Urteil auf Rechtsfehler überprüfen. Würde der BGH fündig, müsste das Landgericht Detmold den Fall neu aufrollen.

Der nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp (FDP) sieht hier eine Lücke im Strafrecht. "Es kann nicht sein, dass es bei einem solchen Vergehen, was Leben zerstört, eine Bewährungsstrafe geben kann", kritisierte er. "Das ist ein falsches Signal." Ähnlich äußerte sich der Deutsche Kinderschutzbund. Stamp präsentierte in Düsseldorf Handlungsempfehlungen, wie Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden könnten. Dafür sollten Kitas, Schulen, Vereine und Freizeitstätten künftig Mindeststandards aufstellen, heißt es in seinem Papier. Stamp sagte zu, im kommenden Jahr eine Landesfachstelle als Anlaufstelle für Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe einzurichten. Sowohl die Vorsorge gegen Kindesmissbrauch als auch die Nachsorge bei den Opfern solle dadurch verbessert werden.

Unterdessen hat das Amtsgericht Detmold einen weiteren Prozess gegen einen Angeklagten im Missbrauchsfall Lügde nach kurzer Verhandlung eingestellt. Zur Begründung sagte der Direktor des Gerichts, Michael Wölfinger, der Deutschen Presse-Agentur, dass der Vorwurf mehrere Jahre zurückliege und dass der Angeklagte seitdem nicht mehr auffällig geworden sei. Entscheidend für die Einstellung sei auch gewesen, dass der damals 16 Jahre alte Jugendliche zum Tatzeitpunkt selbst Opfer im Missbrauchsfall Lügde gewesen sei. Er habe wohl unter Druck gehandelt.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem jungen Mann sexuellen Missbrauch eines Jugendlichen unter 14 Jahren vorgeworfen. "Mein Mandant war zum Tatzeitpunkt 2012 mit 16 Jahren selbst noch ein Jugendlicher", sagte sein Anwalt Christian Thüner nach der Einstellung. Die Vorwürfe waren im Zuge der Ermittlungen zum Missbrauchsfall Lügde aufgekommen. Sein Mandant war als Opfer von der Polizei vernommen worden. Das Verfahren vor dem Jugendschöffengericht war zum Schutz der Betroffenen nicht öffentlich.

Die Anklagen gegen die Hauptbeschuldigten im Missbrauchsfall Lügde werden wegen der Schwere der Straftaten in der höheren Instanz am Landgericht Detmold verhandelt. Der Prozess gegen die beiden Hauptbeschuldigten im Fall Lügde, den 56-jährigen Dauercamper Andreas V. aus Lügde und den 34-jährigen Mario S. aus Steinheim, wegen hundertfachen und schweren sexuellen Kindesmissbrauchs wird am 1. August fortgesetzt.

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