Missbrauch in Rheinland-Pfalz:Vor aller Augen

Ein Mann aus dem Westerwald soll mit seiner Stieftochter acht Kinder gezeugt und seine Tochter missbraucht haben - die Familie wurde vom Jugendamt betreut.

Tanja Rest

Es ist einer dieser Fälle, bei denen man nicht begreifen kann, warum über Jahre hinweg keiner eingeschritten ist. Im rheinland-pfälzischen Fluterschen soll ein Familienvater jahrelang seine Stieftochter, 28, sexuell missbraucht und mit ihr acht Kinder gezeugt haben.

Mann zeugt acht Kinder mit Stieftochter

Fluterschen im Westerwald: Das Wohnhaus, in dem ein Familienvater über Jahrzehnte hinweg seine leibliche Tochter und zwei seiner Stiefkinder sexuell missbraucht und zum Teil zur Prostitution gezwungen haben soll

(Foto: dapd)

Detlef S., 48, müsse sich ab Dienstag wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen vor dem Landgericht Koblenz verantworten, sagte ein Gerichtssprecher am Donnerstag. Der Mann soll auch seine leibliche Tochter und den Stiefsohn jahrelang missbraucht haben. Darüber hinaus zwang er laut Anklage Tochter und Stieftochter zur Prostitution. Die Staatsanwaltschaft legt ihm daher auch die Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen zur Last.

Detlef S. sitzt seit August 2010 in Untersuchungshaft; die Vorwürfe gegen ihn wurden erst jetzt durch einen Zeitungsbericht bekannt. Aus Rücksicht auf die Opfer habe man sich dazu entschieden, zunächst nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, so der Sprecher.

Die Vorwürfe gegen den Familienvater erstrecken sich nach Angaben des Gerichts über den Zeitraum von Herbst 1987 bis Sommer 2010. Der Verdächtige schweigt dem Zeitungsbericht zufolge zu allen Vorwürfen. Nach Angaben des Gerichts liegt aber ein DNS-Gutachten vor. Darin kämen die Experten zu dem Schluss, dass die Vaterschaft von sieben Kindern mit 99,99 Prozent "praktisch erwiesen" sei. Das achte Kind sei bereits verstorben, sagte der Gerichtssprecher.

Gerede gab es

Fluterschen ist ein 750-Einwohner-Dorf im Westerwald. Familie S. habe "eher zurückgezogen" gelebt, heißt es. Dennoch hat man im Ort offenbar so seine Vermutungen gehabt. "Man hat sich schon immer gefragt, was hinter diesen Türen vorgeht", sagt eine Nachbarin von Familie S.. Im Haus nebenan sei nachts oft lautstark gestritten worden, immer wieder sei die Polizei gekommen. Auch die vielen Kinder der Stieftochter, von denen einige den örtlichen Kindergarten besuchten, hätten für Gerede gesorgt. "Die Tochter hat immer gesagt, sie sei betrunken gewesen und wüsste nicht, wer der Vater sei", so die Nachbarin. "Beim zweiten Kind hat man's noch geglaubt, dann nicht mehr." Es sei aufgefallen, dass es eine starke äußerliche Ähnlichkeit gegeben habe zwischen den Kindern und Detlef S., den sie "Opa" genannt hätten.

Unternommen hat keiner etwas. Man wusste ja, dass das Jugendamt die Familie S. seit längerem kannte. Der Leiter des Kreisjugendamtes Altenkirchen, Hermann-Josef Greb, bestätigt das im Gespräch mit der SZ: Seit Mitte 2008 sei "ein bis zwei Mal wöchentlich" eine Mitarbeiterin ins Haus von Familie S. gekommen.

Ist der Frau vom Jugendamt im Lauf zweier Jahre nicht aufgefallen, dass in der Familie nicht alles mit rechten Dingen zuging? "Wir haben die Stieftochter häufiger über die Vaterschaft befragt", räumt Greb ein, "aber sie hat immer wieder beteuert, dass an den Vermutungen nichts dran sei. Und da enden dann auch unsere Möglichkeiten."

In einer Erklärung weist das Jugendamt die "erhobenen unterschwelligen Vorwürfe", nicht eingegriffen zu haben, "vollumfänglich zurück". Im Vordergrund stehe nun "die Unterstützung der direkt und indirekt betroffenen Opfer innerhalb der Familie."

Das Jugendamt handelte erst, als sich eine Frau aus dem Umkreis der Familie meldete, der sich die Stieftochter anvertraut hatte. Man verständigte die Polizei, die Detlef S. schließlich festnahm.

In Bezug auf die Stieftochter hat er sich nur strafbar gemacht, wenn er sie zu sexuellen Handlungen gezwungen hat oder wenn sie zur Zeit des Geschlechtsverkehrs jünger als 16 Jahre war. Viel schwerer wiegen die Vorwürfe, er habe sich auch an seiner heute 18-jährigen Tochter und dem Sohn vergangen. Die Anwältin Sandra Buhr vertritt die Tochter, die vor Gericht als Nebenklägerin auftreten wird. Sie spricht von "sexuellen Übergriffen in mehr als 300 Fällen".

Dass das Jugendamt Familie S. ein- bis zweimal wöchentlich besucht haben will, quittiert sie mit bitterem Lachen. "Wenn dem so gewesen wäre, hätte diese Sache in dem Ausmaß niemals passieren können", sagt Sandra Buhr. "Da ist einiges schiefgelaufen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: