Paul Barry ist ein mutiger Mann. In seiner Sendung Media Watch zieht er die Augenbrauen hoch und sagt: "Es ist den Medien verboten, irgendetwas über einen bevorstehenden Prozess zu berichten." Wer wo warum angeklagt ist? Barry hebt die Schultern: Sorry, verboten. Das sei zwar der Gipfel des Absurden, aber wenn die nächste Sendung aus dem Gefängnis käme, wüssten die Zuschauer warum.
Willkommen in Australien mit seinen sehr eigenen Regeln zur Justizberichterstattung: Das Bezirksgericht des Bundesstaates Victoria hat verfügt, dass kein Journalist über das Verfahren berichten darf, das da am Montag beginnt. Streng genommen (und Australiens Justiz nimmt so etwas streng) darf sogar niemand öffentlich sagen, dass man nichts öffentlich sagen darf - deshalb Barrys Gefängnis-Scherz.
SZ Jetzt Katholische Kirche:"Der Influencer Gottes"
Ein junger Priesteranwärter aus Passau teilt als "derboivomseminar" seinen Alltag in den Sozialen Medien. Mit zunehmendem Erfolg.
Dass er dort landen wird, ist unwahrscheinlich. Ziemlich viele Journalisten im Land regen sich gerade über den Super-Maulkorb auf, der jede Beeinflussung der zwölf ehrenamtlichen Geschworenen verhindern soll. Lediglich, dass es um mögliche "historische" Sexualstraftaten gegen Kinder geht, darf veröffentlicht werden. Dabei weiß ohnehin das ganze Land, um wen es geht: um George Pell, den katholischen Kardinal und vom Amt beurlaubten Finanzminister der Kurie in Rom - um den ranghöchsten Vertreter seiner Kirche also, der sich bislang wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor Gericht verantworten muss.
Auch die Vorwürfe gegen Pell sind lange bekannt. Unter anderem hat die Journalistin Louise Milligan sie in einem Buch aufgeschrieben, das - natürlich - gerade in Australien nicht verkauft werden darf. "Big George", wie Pell wegen seiner Footballspieler-Statur genannt wurde, soll als Priester in einem Schwimmbad seiner Heimatstadt Ballarat Buben bedrängt haben. Später, in den Neunzigerjahren, soll er als Erzbischof von Melbourne in der Sakristei der Kathedrale zwei Chorknaben zum Oralsex gezwungen haben. Das Gericht, berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, hält diesen Vorwurf für gravierender und zieht das Verfahren vor. Dafür gibt es selbstredend weder eine Bestätigung noch ein Dementi.
Für Papst Franziskus wäre die Verurteilung eine Katastrophe
Von Montag an wird man dann wenig bis nichts über das Verfahren erfahren: Journalisten dürfen zuschauen, müssen aber schweigen, bis ein Urteil ergangen ist. Im Falle eines Schuldspruchs kann die Strafe hart werden. Anders als in Deutschland verjährt in Australien sexualisierte Gewalt gegen Kinder nicht, schwere Fälle werden mit bis zu 25 Jahren Haft bestraft.
Für Papst Franziskus wäre die Verurteilung eine Katastrophe. Er selbst hat den tatkräftigen Konservativen 2014 nach Rom geholt, damit der die Finanzen des Vatikans neu ordne. Dabei gab es schon 2008 Vorwürfe, Pell habe als Erzbischof Missbrauchsfälle vertuscht. Der konterte damals mit der ihm eigenen Grobheit: Wenn ein Lastwagenfahrer eine Frau vergewaltige, mache man ja auch nicht den Spediteur dafür haftbar.
Auch jetzt scheint das Selbstbewusstsein des 77-jährigen Pell intakt zu sein. Die Anschuldigungen seien "Rufmord", hat er erklärt. Als am 1. Mai die australische Justiz in Melbourne entschied, dass das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet wird, rief Pell in den Gerichtssaal: "Nicht schuldig!"