Mimik:Brauenvoll

Und nun auch noch "The Boss Baby". Ob Schauspieler, Moderatoren, Sänger, Models, Außerirdische oder Trickfilmfiguren - alle tun es: Ständig ziehen sie sehr deutlich eine Augenbraue hoch. Aber warum nur?

Von Laura Hertreiter

Es ist nur eine kleine Regung in einem pausbäckigen Gesicht, aber sie verrät die ganze Geschichte. Denn eigentlich sieht das Zeichentrickbaby unerträglich niedlich aus, das jetzt in der Zeichentrickfamilie Einzug hält. Zuckersüß, wirklich. Bis es die rechte Augenbraue hebt. Eiskalt, berechnend, böse.

Aus Kullerauge wird Killerauge. Dann folgt Gebrüll, und in dem Moment ist klar: Ab sofort hat ein Tyrann seine Familie im Griff. Im Film "The Boss Baby", der seit Donnerstag in den Kinos läuft, setzt das Animationsstudio Dreamworks wieder auf die Macht der Augenbraue. Schon in "Madagascar", "Shrek" oder "Kung Fu Panda" war klar: Wenn dieser Blick kommt, braut sich was zusammen.

Auch in realen Gesichtern hat das Mienenspiel große Wirkung. Sean Connery setzte es zu besten Zeiten als James Bond ein, Kollege Jack Nicholson oder Sängerin Kylie Minogue ständig auf dem roten Teppich. ZDF-Moderatorin Ilka Brecht moderiert "Frontal 21" stets mit hoher Braue ab, US-Moderator Stephen Colbert betont damit seine Witze. Und eine 13-Jährige, die ihre Brauen in einem 36-sekündigen Webvideo zu einem Popsong tanzen ließ, sammelte Millionen Klicks.

Während die einen also ihre Gesichtsbehaarung gekonnt in Szene setzen, verzweifeln andere beim bloßen Versuch. In Online-Foren fragen zahllose Nutzer, wie man die "raised eyebrow", die gehobene Augenbraue, erlernen könne. Antworten gibt es viele. Vor dem Spiegel mit beiden Brauen zucken; sie zwei bis fünf Minuten pro Tag mit den Fingern in alle Richtungen schieben; eine Braue mit Klebeband an die Stirn kleben, nach fünf Minuten die andere. Spätestens an dem Punkt stellt sich die Frage: Worin liegt eigentlich die Faszination des kontrahierten Musculus frontalis, des Augenbrauenhebers?

Jörg Merten, Mimikforscher

"Die gehobene Braue steht für absolute Coolness, denn sie vermittelt dem Gegenüber auf irritierende Art mehrere Dinge gleichzeitig."

Der Emotionspsychologe Jörg Merten lehrt an der Uni des Saarlandes und erforscht seit drei Jahrzehnten die menschliche Mimik. Er sagt, die gehobene Braue stehe häufig für absolute Coolness "denn sie vermittelt dem Gegenüber auf irritierende Art mehrere Dinge gleichzeitig." Einerseits zeige sie Interesse am anderen an. "Bei Begrüßungen heben wir unbemerkt ein wenig die Brauen", so Merten. Andererseits signalisiere sie oft Skepsis und Spott. "Aber nicht so drastisch wie zum Beispiel Billy Idols verächtlich verzogener Mund", sagt Merten, "der steht für totale Zurückweisung." Wer nur die Braue verziehe, habe den anderen noch nicht aufgegeben.

Vielleicht funktioniert der Gesichtsausdruck deshalb in Kinder- und Jugendfilmen so gut: Die Zielgruppe ist dabei, sich von den Eltern zu lösen. Sie entdeckt die Skepsis für sich. Das Überlegenheitsgefühl der Erwachsenenwelt. Per Braue.

Die letztendliche Brauenbotschaft aber, sagt die Forschung, hängt von der Kombination mit weiteren körpersprachlichen Botschaften ab. Wenn der an die Hauswand gelehnte Typ eine Braue hebt, den Mundwinkel hochzieht und die Sonnenbrille tiefer ins Haar schiebt, ist das, wie Psychologe Merten sagt, eine "narzisstisch gefärbte Art der Kontaktaufnahme". Wer beim Sprechen eine Braue länger oben hält und gleichzeitig lächelt, vermittle außerdem, dass er etwas Wichtiges sagt. "Deshalb tun Moderatoren und Schauspieler das gern", sagt Merten. Oder eben animierte Charaktere.

Man findet die steilgestellte Braue inzwischen bei Figuren aller Filmstudios. Aber in Dreamworks-Filmen hüpfen heute so viele Augenbrauen, dass das Ganze zu so etwas wie dem hauseigenen Markenzeichen geworden ist. Positiv formuliert. Kritikern hingegen bereitet die überzeichnete Gesichtsakrobatik seit Jahren nur noch Stirnrunzeln.

Unter dem Stichwort #dreamworksface werden schon seit Längerem Grimassen-Selfies ins Netz gestellt. Andere Nutzer sammeln ganze Collagen, die viele Augenbrauen-Gesichter nebeneinander zeigen. So sieht man auf einen Blick, wie austauschbar alles ist: Der berühmte Kampfsport-Panda hebt auf dieselbe Art und Weise seine Braue über dem Zahnpastagrinsen wie der Löwe Alex oder der Esel aus "Shrek". Die Macher sind sich dessen bewusst: Ihre Superhelden-Parodie "Megamind" etwa steckt voller Anspielungen auf den Topos. So droht der blauköpfige Titelheld in einer Kampfszene: "Fühlst du die verspottende Kraft meiner Augenbraue?"

Das alles - die Überzeichnung, die immer gleichen Gesichter, die Braue - müsse sofort aufhören, fordert der US-Filmkritiker Jacob Oller jetzt. "Stoppt das Dreamworks-Gesicht", schrieb er auf dem Portal Filmschoolrejects und plädierte für mehr Nuancen bei der Animation. Gegen den exzessiven Einsatz von Brauen spricht tatsächlich, dass er sich, wie im echten Leben, abnutzt. "Körpersprache funktioniert vor allem unbewusst", sagt Forscher Merten. "Wenn mein Gegenüber bemerkt, dass ich das zu oft und zu deutlich einsetze, wirkt das nur befremdlich."

Für die überzeichnete Braue spricht, dass sie beim jungen Publikum "cool" ankomme. Und, dass gerade Kinder auf überzogene Mimik am besten ansprechen. "Deshalb kommunizieren Erwachsene automatisch überdeutlich mit ihnen", sagt Merten. Aufgerissene Augen, breites Lachen, tanzende Brauen - beinahe wie im Trickfilm.

Vorerst jedenfalls ist die verspottende Kraft der Braue auf der Leinwand gesichert. Im August läuft "Emoji" in den Kinos an. Ein Animationsfilm über gelbe Smileys und braune Äffchen, bisher bekannt aus der Smartphone-Kommunikation. Die werden nun also zum Leben erweckt. Mit wild wackelnden Augenbrauen.

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