Millionenklage gegen Versicherung:Gerechtigkeit für Sarah

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Seit einem Unfall ist Sarah T. schwerstbehindert. Ihre Mutter klagt vor Gericht auf Entschädigung. Es geht um 7,25 Millionen Euro. Jetzt hat sie einen Teilerfolg errungen.

Von Ralf Wiegand

Für Sarah, sagt ihre Mutter Brigitte T., sei die Situation kaum mehr zu ertragen. Die junge Frau, die ohne fremde Hilfe nicht überleben könnte, leide unter großen Zukunftsängsten. Was würde aus ihr, wenn die Mutter nicht mehr da wäre? Wer kümmerte sich dann um ihren kleinen Sohn, fünf Jahre alt? "Sarah wünscht sich sehr, dass die Sache einen Abschluss findet, damit sie sich auch wieder nach vorne orientieren kann", sagt Brigitte T.

Die Sache - das ist ein Streit um eine Versicherungsleistung in bisher nie da gewesener Höhe. Die schwerstbehinderte Sarah, 24, ihre sie pflegende Mutter und ihr Anwalt Jürgen Hennemann streiten mit dem Versicherungskonzern Generali darum, wie Sarahs bei einem Autounfall vor mehr als fünf Jahren erlittene Schäden zu regulieren seien.

So heißt das im Versicherungsdeutsch, wenn eine Zahl gefunden werden muss, die für ein Leben entschädigen soll, welches Sarah nie wird führen können. Ihr Anwalt hat die Summe hochgerechnet auf 7,25 Millionen Euro - mit einer höheren Forderung ist in Deutschland noch nie eine Versicherung konfrontiert worden.

Jetzt hat Sarah vor dem Hamburger Landgericht einen Teilerfolg errungen: Sie erhält Prozesskostenhilfe für einen Streitwert in exakt dieser Höhe, auch das ist einmalig.

Durch diesen Schritt, so erklärt Anwalt Hennemann, räume das Gericht der Klageforderung "hinreichende Erfolgsaussichten" ein und halte die Höhe der Forderung nicht etwa für mutwillig an den Haaren herbeigezogen.

"Wir werden hingehalten"

Doch das ist auch schon die einzige Entscheidung, die in dem richtungsweisenden Fall seit vergangenem Sommer getroffen wurde. "Wir werden hingehalten", klagt Brigitte T. Seit der mündlichen Verhandlung im Juni 2009 gehe nichts voran.

Vor Gericht streitet Sarah T. nicht nur um die Höhe, sondern vor allem darum, diese Summe auf einmal gezahlt zu bekommen. Dadurch sollen lebenslange Verhandlungen mit der Versicherung um Rentenhöhe oder Pflegekosten vermieden werden.

Der Fall könnte damit zum Musterprozess für die deutsche Versicherungsbranche werden. Die sogenannte Kapitalisierung von Schäden ist zwar in den meisten Ländern möglich, in Deutschland aber unüblich. Deutsche Versicherer bevorzugen Renten oder versuchen durch vergleichsweise niedrige Zahlungen, deren Höhe sie selbst festlegen, sich von allen Verpflichtungen freizukaufen. Würde jedoch der Versicherte selbst wählen können, ob er einen in die Zukunft weisenden Schaden sofort beglichen haben möchte und es für die zu berechnende Höhe objektive Kriterien gäbe - es würde ein Damm brechen.

Die Generali lehnt eine Einmalzahlung erwartungsgemäß bisher ab. Der Konzern bot vergangenen Sommer ein Mischmodell an: Ein Teil der Summe sollte auf einmal fließen, für den Rest, hieß es vor Gericht, werde die Generali ein Modell entwerfen, in dem Sarah zwar eine Rente bezöge, aber trotzdem keine belastenden Verhandlungen über medizinische Fortschritte, steigende Pflegekosten oder die Notwendigkeit von Therapien führen müsste. Eine Rente, die automatisch immer die für Sarah notwendige Höhe hätte.

Doch auf den entsprechenden Vorschlag wartet Hennemann bis heute. Er sagt, die Generali betreibe eine "erbarmungsgwürdige Verschleppungstaktik".

Glauben verloren

Auch macht das Gericht kein Tempo in der Sache. Noch immer ist etwa kein Gutachter bestellt, der klären könnte, ob Sarah bei dem schweren Verkehrsunfall tatsächlich nicht angeschnallt war, wie die Versicherung annimmt. Das würde ihr eine Mitschuld an ihren Verletzungen geben, die zu einem Abschlag bei ihren Forderungen von etwa zwanzig Prozent führen könnten.

Um das Verfahren aber nicht wegen dieser einen Frage komplett zu blockieren, sähe Sarahs Seite hier einen Verhandlungsspielraum - obwohl Brigitte T. über ihre Tochter sagt: "Sarah war angeschnallt." Das Gegenteil müsste die Generali beweisen.

Ihre hirngeschädigte Tochter, die sehr wohl verstehe, worum es geht, habe den Glauben in die Gerechtigkeit ob solcher juristischer Scharmützel verloren, sagt Brigitte T. Sie wünscht sich endlich einen zweiten Gerichtstermin, wenn schon die Chance für eine "zeitnahe Lösung", die das Gericht angekündigt hatte, längst verstrichen ist. Sarah würde zur Verhandlung mitkommen, auch wenn sie nicht geladen würde. "Es ist ihr Leben, um das es geht", sagt ihre Mutter.

© SZ vom 18.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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