Mikrochips als Ausweise:Daten, die unter die Haut gehen

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Bisher gab es sie bei Tieren oder Warenpaletten, jetzt erlaubt die US-Regierung auch für Menschen implantierte Funkchips als Ausweise. Die winzigen Geräte sollen Alzheimer-Patienten oder Bewusstlose retten. Doch seit auch Schulen und Strafanstalten die Chips einsetzen, sehen Datenschützer ihre schlimmsten Phantasien Wirklichkeit werden.

Von Titus Arnu

Leslie Jacobs fühlt sich wie in einem Science-Fiction-Film: "Es ist so ähnlich wie Raumschiff Enterprise." Unter der Haut ihres Oberarms hat sie ein Implantat aus Glas und Metall. Das Ding ist so klein wie ein Reiskorn und sendet ein Radiosignal aus. Der Mikrochip im Arm der Amerikanerin enthält eine 16-stellige Identifikationsnummer. Er dient als Personal-, Krankenkassen- und Notfallausweis.

Auf dem Verichip lassen sich persönliche Gesundheitsdaten speichern. Wer ihn im Körper trägt, muss im Notfall nur noch gescannt werden. Dann verrät der Chip dem Arzt alles über den Patienten (Foto: Foto: dpa)

Vor zwei Jahren ließ sich Leslie Jacobs den "VeriChip" zu Testzwecken einpflanzen. Auch ihr Mann Jeffrey und ihr Sohn Derek haben Chips unter der Haut, wie 900 andere Testpersonen in den USA. Das Einpflanzen dauerte nur 20 Minuten. Familie Jacobs rollte die Ärmel hoch und bekam die winzigen Apparate eingespritzt. Vater Jeffrey glaubt, dass der Chip ihm bei einem Kollaps sein Leben retten könne. Ihre Familie sei Pionier einer Technologie, "die die Welt verändern wird", schwärmt Leslie Jacobs.

Nach einer Testphase hat die US-Regierung jetzt die Markteinführung des Daten-Implantats genehmigt. Die Zulassungsbehörde für medizinische Geräte FDA (Food and Drug Administration) gab dem Unternehmen "Applied Digital Solutions" (ADS) grünes Licht für die Vermarktung des VeriChips in den USA. Der winzige Apparat besteht aus einem Mikrochip, einer Antenne und einem Mini-Empfänger. Das Gerät kommt ohne Batterie aus und wird nur aktiv, wenn es angefunkt wird.

Ob das Implantat die Welt verändern wird, muss sich allerdings noch zeigen. Zunächst ist der Mikrochip für den medizinischen Gebrauch gedacht. Das Gerät soll Patienten identifizieren, die unter Alzheimer leiden, bewusstlos sind oder aus anderen Gründen nicht ansprechbar.

Bewusstlos unter dem Scanner

In einer Datenbank findet der Arzt unter der Identifikationsnummer Informationen über den Patienten: Name, Adresse, Blutgruppe, Allergien, Krankenkasse. Der elektronische Notfallausweis, der umgerechnet etwa 180 Euro kostet, nützt dem Besitzer natürlich nur etwas, wenn Rettungskräfte und Krankenhäuser über Lesegeräte verfügen, mit denen man die Informationen per Funk abrufen kann. ADS will deshalb 200 Scanner kostenlos an Notaufnahmen verteilen. Später sollen die Geräte etwa 650 Euro kosten.

Die Technik für die Funk-Übermittlung von Daten existiert im Prinzip bereits seit 50 Jahren. Radio Frequency Identification (RFID) wurde im Zweiten Weltkrieg erfunden, um eigene Kriegsschiffe oder Flugzeuge blitzschnell von gegnerischen unterscheiden zu können. Das mit Radarwellen angepeilte Objekt wurde nicht beschossen, wenn es automatisch den richtigen Code zurückfunkte.

Hund, Katze, Pferd, Mensch?

Im modernen Warenverkehr sind Funkchips längst im großen Stil im Einsatz. Container und Warenpaletten sind oft mit elektronisch lesbaren Etiketten versehen. Dass sich die RFID-Technik auch zum Erheben von Maut-Gebühren eignet, beweisen die Österreicher.

Dort registrieren schlichte Plaketten mit integrierten RFID-Chips, wie Lastwagen die Autobahnen nutzen - eine preiswerte Technik, denn die Chips kosten nur 50 Cent. Auch bei Hunden, Katzen, Pferden und Kühen wird die RFID-Technik seit einigen Jahren verwendet.

Die Vorteile gegenüber Brandzeichen, Tätowierungen oder eingestanzten Metall-Markierungen liegen auf der Hand: Mikrochips sind so winzig, dass sie sich weitgehend schmerzlos implantieren lassen. Nebenwirkungen sind noch nicht bekannt.

In Deutschland waren die Bedenken von Datenschützern bislang zu groß, die Chips auch an Menschen zu verwenden. Denn außer den medizinischen Informationen lassen sich natürlich auch Daten über Konsumverhalten, Religionszugehörigkeit oder politische Gesinnung speichern. Selbst als Kreditkarte ist der VeriChip einsetzbar.

Der Baja Beach Club in Barcelona bietet zum Beispiel einen Eintrittsausweis in Form eines implantierten Chips an. Selbst die Drinks an der Bar werden direkt über den Datenträger vom Konto abgebucht. Und auch zur Überwachung von Menschen taugt die Technik perfekt. Die Schüler der Buffalo Enterprise Charter School im US-Bundesstaat New York tragen ein Halsband, das mit einem Funkchip ausgestattet ist. So kann mit Hilfe von Scannern protokolliert werden, wann sie die Schule betreten und verlassen.

Die Chip-Hersteller haben noch weiter reichende Pläne. Durch die Kombination mit der satellitengestützten Ortungsmethode GPS könnten Implantate künftig auch helfen, die Körperfunktionen von Menschen zu kontrollieren - rund um die Uhr und weltweit.

Die amerikanische Firma "Digital Angel" bietet ein gleichnamiges Gerät an, das eine Verbindung zwischen Biosensor-Technologie und GPS ist. Der Bio-Schutzengel wird entweder am Körper getragen oder implantiert. Das Gerät kann den Blutdruck messen, die Körpertemperatur, den Puls sowie nach Bedarf weitere Körperfunktionen wie den Blutzuckerspiegel.

Digitale Engel

Für künftige Modelle kündigt der Hersteller noch ausgefeiltere Überwachungsfunktionen an - etwa komplette EKG- und EEG-Messungen. Die Daten werden per Funk ins Internet übertragen und können im Notfall Alarm auslösen. Droht dem Träger etwa ein Herzinfarkt, ruft das System sofort selbsttätig bei einem Notdienst an.

Im Unterschied zum VeriChip, der nur ausgelesen werden kann, wenn man direkt mit einem Scanner darüber fährt, sendet der digitale Engel wie ein Handy Daten und lässt sich auch anpeilen. So könnte man Menschen, die mit dem Chip ausgestattet sind, über GPS weltweit aufspüren.

ADS-Firmenchef Scott Silverman schlug vor, Einwanderern einen Chip einzupflanzen, um sie besser kontrollieren zu können. Die Mikrochips seien auch geeignet, entflohene Straftäter und Opfer von Entführungen aufzuspüren. Anwendungsmöglichkeiten fänden sich zudem bei "militärischem, diplomatischem und anderem wichtigen Regierungspersonal", so der Hersteller. In Mexiko bedient sich die Regierung bereits der Chiptechnik. Der mexikanische Generalstaatsanwalt Rafael Macedo de la Concha und 160 Mitarbeiter des Justizministeriums ließen sich Mikrochips implantieren, um sicherzustellen, dass nur sie Zugang zu einer neuen Kriminaldatenbank haben.

Chips in der Unterhose

Datenschützer und Bürgerrechtler sehen schon die schlimmsten Science-Fiction-Phantasien Wirklichkeit werden. Wenn erst einmal alle Gegenstände des Alltags, von der Unterhose bis zum Marmeladenglas, mit einem Datenchip versehen sind, wäre es bis zum gläsernen Konsumenten tatsächlich nur ein kleiner Schritt.

In einem Gutachten über "Datenschutz und RFID-Technik" warnt die Technische Universität Berlin deshalb eindringlich vor den Folgen der Daten-Implantate. Die RFID-Technik ermögliche "Missbrauch, da der Zugriff auf die Chips nicht wirksam beschränkt ist und von jedem Interessierten ausgelesen werden kann".

Die Empfehlung der Gutachter lautet: "In Produkten integrierte RFIDs funktionsunfähig machen, alle übrigen Chips mit sicheren Authentifizierungsmechanismen ausstatten." Auch das Zentrum für Individuelle Freiheit (CFIF) in Alexandria bei Washington warnt schon mal: "Die Vorstellung, dass Big Brother den VeriChip benutzen könnte, um unwissende Bürger zu beobachten und persönliche Daten zu sammeln, ist nicht zu allzu weit hergeholt."

© SZ vom 27.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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