Süddeutsche Zeitung

Michael Jackson:"Lügen laufen Kurzstrecken, aber die Wahrheit läuft Marathondistanzen"

Der US-Popstar, der sich wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs verantworten muss, hat sich den Justizbehörden in Kalifornien gestellt - und wurde in Handschellen abgeführt. Nach einer Kautionszahlung von drei Millionen Dollar ist Jackson nun wieder auf freiem Fuß.

Sein Markenzeichen auf der Bühne ist der Moonwalk, aber der Gang, den Michael Jackson nun antreten musste, war alles andere als schwerelos, elegant oder gar lustig: Der Popstar stellte sich am Donnerstag den Behörden im US-Staat Kalifornien und wurde sofort in das Kreisgefängnis von Santa Barbara gebracht.

Mit einem Privatflugzeug landete Jackson kurz vor Mittag (Ortszeit) in Santa Barbara. Er hatte sich zu einer Videoproduktion in Las Vegas aufgehalten. Das Flugzeug rollte mit seiner Nase in die teilweise geöffneten Torte eines Hangars. Eine Fahrzeugkolonne verließ den Hangar wenige Minuten später. Jackson traf mit Handschellen gefesselt in dem Gefängnis ein.

Gegen Hinterlegung einer Kaution von drei Millionen Dollar wurde er nach Angaben seines Anwalts Mark Geragos auf freien Fuß gesetzt. Jackson winkte beim Verlassen des Gefängnisses den Journalisten zu und zeigte das Siegeszeichen. Er stieg in einen schwarzen Wagen und fuhr, eskortiert von drei Streifenwagen, davon.

"Er ist vor allem zurückgekommen, um diesen Vorwürfen frontal entgegenzutreten", sagte Geragos. "Er ist außer sich über diese Vorwürfe, die er als große Lüge betrachtet. Er versteht, dass Leute außer sich sind. Wenn sie zuträfen, wäre er der erste, der außer sich wäre."

"Lügen laufen Kurzstrecken, aber die Wahrheit läuft Marathondistanzen", ließ Jackson weiter über seinen Sprecher erklären. "Die Wahrheit wird diesen Marathon vor Gericht gewinnen."

Jacksons Bruder Jermaine versicherte, die Familie stehe voll hinter Michael. "Jeder weiß es, du hast was angestellt, sie sperren dich ein, und zwar schon bald", hatte Jacko in seinem Erfolgshit "Bad" gesungen, als ob er schon damals einen Blick in die Zukunft geworfen hätte.

Der "King of Pop" blieb zwar nicht lange im Gefängnis, aber es wird schwierig sein, die Vorwürfe zu entkräften, die gegen den 45-Jährigen vorgetragen werden: Kindesmissbrauch im wiederholten Fall. Ihm werden "unzüchtige und laszive Handlungen" mit einem Kind unter 14 Jahren vorgeworfen.

Bei einem Schuldspruch drohen dem Sänger drei bis acht Jahre Haft - für jeden der in einer Klage aufgeführten Fälle. Jackson hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Michael würde nie ein Kind irgendwie verletzen", ließ er seinen Sprecher Stuart Backerman mitteilen. "Diese skurrilen und vollständig grundlosen Anwürfe werden in einem Gerichtssaal als falsch erwiesen werden."

Jackson wird aber kein Interesse daran haben, dass die Sache im gleißenden Licht der Öffentlichkeit in einem Gerichtsverfahren ausgebreitet wird. Erst am Dienstag hat er seine jüngste CD "Number Ones" vorgestellt, und er befürchtet nicht zu Unrecht Verkaufseinbrüche.

Das war schon vor zehn Jahren geschehen, als der Star zum ersten Mal beschuldigt worden war, Kinder auf seinem Märchenanwesen Neverland-Ranch bei so genannten Sleepover-Parties missbraucht zu haben.

Die negative Publicity hat ihm und dem Absatz seiner CD's bis zum heutigen Tag nachhaltig geschadet. Damals hatte er die Angelegenheit unter der Hand und außergerichtlich mit der Zahlung von Millionensummen geregelt.

Diesmal jedoch sieht es schlechter für ihn aus. Paragraf 288 a des kalifornischen Strafgesetzbuches ist - nicht zuletzt wegen Jacksons Fall von 1993 - geändert worden. Jetzt können Minderjährige gezwungen werden, vor Gericht auszusagen.

Aber das wäre noch nicht einmal nötig, denn der zwölfjährige Junge, der die Vorwürfe nun vorbringt, "arbeitet mit den Behörden zusammen", wie es Staatsanwalt Sneddon formulierte.

Was er zu sagen hat, dürfte die öffentliche Meinung nicht unbedingt für den seit längerem immer bizarrer agierenden Show-Star einnehmen. Demnach war der missbrauchte Junge lange Zeit schwer krebskrank.

Zu einem Zeitpunkt, als die Hoffnung auf Genesung besonders aussichtslos erschien, soll er als "letzten Wunsch" geäußert haben, sein Idol Michael Jackson persönlich kennen zu lernen.

Der Star kam und begann, den Jungen und seine Familie mit Geld und Aufmerksamkeiten zu überschütten. Er bezahlte für die Behandlung, ein Auto und - nach einigen Medienberichten - sogar für ein neues Haus.

Nach der Heilung des Jungen lud er ihn dann auf sein zehn Quadratkilometer großes Anwesen Neverland ein, wo er ihn mit Wein und Schlaftabletten gefügig gemacht haben soll, wie der Nachrichtensender Fox unter Berufung auf einen Freund der Familie berichtete.

Irgendwann im vergangenen Frühjahr sollen dann die Schulkameraden des Teenagers auf die Beziehung aufmerksam geworden sein. Sie begannen, ihn zu hänseln. Seine Mutter arrangierte daraufhin für ihren Sohn mehrere Sitzungen mit einem Psychiater, der die Polizei informierte.

Die Fans reagieren verstört. Martin Stock, Präsident des deutschen Michael-Jackson-Fanclubs "JAM", berichtete am Donnerstag von "Panikausbrüchen". Viele Fans könnten "nicht mehr essen und nicht mehr schlafen." Mehrere deutsche Radiosender haben bis zur Klärung der Vorwürfe alle Jackson-Songs aus dem Programm genommen.

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SZ vom 21.11.2003
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