Süddeutsche Zeitung

Mexiko:Drogenbanden als Helfer in der Not

  • In Mexiko tobt ein immer brutalerer Drogenkrieg. Doch nun, im Angesicht des Coronavirus, werden die Kartelle generös.
  • Überall im Land verteilen sie Lebensmittelpakete und helfen Bedürftigen.
  • Doch während in anderen Ländern Lateinamerikas Quarantänemaßnahmen zu weniger Gewalt führen, steigt sie in Mexiko an.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Anfang April fuhren schwer bewaffnete, vermummte Männer durch die Straßen von Matamoros, einer mexikanischen Stadt direkt an der Grenze zu den USA. Hier kommt es immer wieder zu tödlichen Auseinandersetzungen mit Drogenbanden. 2010 lieferten sich Soldaten und Narcos ein mehrstündiges Feuergefecht mit Maschinengewehren und Granaten. Man hat hier also Erfahrung mit Männern mit Maschinengewehren - eher keine guten.

Diesmal aber schossen die Vermummten keine Salven um sich, sie verteilten Lebensmittelpakete von der Ladefläche eines Pick-ups. Und damit allen klar war, wer da so generös half, klebte ein großer Aufkleber auf den Kartons: "Das Golf-Kartell unterstützt Matamoros."

Die Bande ist eines der ältesten Kartelle, sie hat eine eigene paramilitärische Einheit, Los Zetas. Diese machte sich aber irgendwann selbstständig und zerfiel in zwei Fraktionen, die sich dann einen Krieg lieferten. Ähnliches geschieht in fast allen Staaten Mexikos. Hunderte Gangs, Banden, Kartelle und Milizen bekämpfen sich. Sie haben das Land in einen immer brutaleren Drogenkrieg gestürzt.

Hunderttausende Jobs gingen schon verloren

Doch im Angesicht der Corona-Pandemie inszenieren sich die Drogenbanden als Helfer in der Not. Im Bundesstaat México verschenkten die Narcos von La Familia Michoacana Tüten mit Dosengemüse, Mehl, Klopapier und Putzmittel. In Veracruz waren es die Zetas und in San Luis Potosí das Cártel Jalisco Nueva Generación, die sogar einen Gruß in die Tüten packten: "Von euren Freunden vom CJNG".

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Knapp 9000 Infektionen hat Mexiko bislang offiziell registriert. Das öffentliche Leben wurde weitgehend stillgelegt, Fabriken und Geschäfte mussten schließen. Die Quarantänemaßnahmen treffen vor allem die unteren Bevölkerungsschichten hart. Hunderttausende Jobs gingen schon verloren, mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer hat nicht einmal einen Vertrag, geschweige denn soziale Absicherung. Die Regierung hat Hilfe versprochen, immer öfter kommen die Kartelle ihr aber nun zuvor.

Schon vor der Corona-Krise haben sie in von ihnen kontrollierten Gebieten oft nicht nur Schutzgelder erpresst, sondern auch Schutzfunktionen erfüllt. Nach Naturkatastrophen verteilten Narcos Essen, vor Weihnachten gab es Hilfspakete. Drogengangster verbessern so ihr Image, sichern sich aber auch ab gegenüber Konkurrenten und der Polizei. Ohne Rückhalt in der lokalen Bevölkerung wäre es für die Kartelle extrem schwierig, ihr Territorium zu behaupten. So gesehen nur logisch, dass die Gangs auch in der Virus-Katastrophe vermeintliche Hilfsbereitschaft zeigen.

Natürlich haben auch die Kartelle selbst Angst

Allerdings leiden auch die Narcos unter der Krise. Die weltweite Drogenlieferkette stockt, chemische Basisstoffe für synthetische Drogen werden knapp, Schmuggel immer schwieriger. Experten fürchten, dass dies die Verteilungskämpfe noch verschärft. Und während in anderen Ländern Lateinamerikas Quarantänemaßnahmen zu weniger Gewalt führen, steigt sie in Mexiko an. Mehr als 2500 Menschen wurden nur im März ermordet, 109 allein am vergangenen Sonntag, dem bisher blutigsten Tag des Jahres.

Natürlich haben auch die Kartelle selbst Angst vor dem Virus, weshalb sie längst nicht nur Essen und Klopapier verteilen. Während die Tochter des in den USA inhaftierten Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzmán in sozialen Netzwerken Videos postet, die zeigen, wie Senioren Hilfspakete mit dem Konterfei ihres Vaters bekommen, haben dessen Söhne, genannt "Los Chapitos", ebenfalls einen Clip gepostet. Schläger des Kartells verprügeln auf offener Straße einen weinenden Mann. Er hatte gegen die vom Kartell verhängte Ausgangssperre verstoßen.

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