Messerangriff in Kandel:Wer Migranten integrieren will, muss ihre Herkunft nüchtern betrachten

Mädchen in Kandel erstochen

Ein Zettel weist auf die vorübergehende Schließung eines Drogeriemarktes in Kandel (Rheinland-Pfalz) hin. Ein mutmaßlich 15 Jahre alter Flüchtling soll dort seine Ex-Freundin erstochen haben.

(Foto: dpa)

Die Bluttat von Kandel wirft Fragen auf. Was, wenn es keine reine Beziehungstat war? Was, wenn der mutmaßliche Täter aus Afghanistan sich nicht von seinen Wertvorstellungen befreien konnte?

Kommentar von Tomas Avenarius

Im Fall des Messerstechers von Kandel verhält es sich auf den ersten Blick so wie bei jedem Verbrechen: Polizei und Justiz ermitteln, Zeugen sagen aus, ein Richter hat das letzte Wort. Für den angeblich erst 15-jährigen Afghanen, der seine 15-jährige Ex-Freundin erstochen haben soll, gilt bis dahin die Unschuldsvermutung. So wie für jeden Verdächtigen, ob er nun Deutscher, Portugiese oder Iraner ist.

Die Bluttat im Drogeriemarkt wirft aber auch Fragen auf, die über den Kriminalfall hinausgehen. Sie haben nichts mit Fremdenfeindlichkeit oder jenem dumpfen Hass gegen Muslime zu tun, der sich auf Twitter und Facebook wieder Bahn bricht. Es geht auch nicht um die nachvollziehbare, aber fast immer unbegründete Angst, die viele Bürger nach Kandel oder dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt verspüren, wenn sie auf völlig unbescholtene Zuwanderer treffen.

Der Staat ist verpflichtet, Identität, Alter und Herkunft zu ermitteln

Es geht darum, in der Flüchtlingsdebatte in zwei Grundfragen endlich Klarheit zu schaffen. Die erste betrifft den Staat, die Polizei. Bei der zweiten geht es um die Gesellschaft. Beim ersten gilt: Mehr als die Hälfte der seit Mitte 2015 ins Land gekommenen Flüchtlinge konnte keinen Pass vorlegen. Der Staat ist weiter verpflichtet, Identität, Alter und Herkunft zu ermitteln. Das Auslesen der Mobiltelefone wäre eines von mehreren legitimen Mitteln dazu. Es könnte auch Klarheit bringen, wie viele der 55 000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wirklich minderjährig sind und zu Recht besondere Schutzrechte genießen.

Ja, die Privatsphäre würde beeinträchtigt. Aber die Gesetze waren, als sie erlassen wurden, nicht dafür ausgelegt, dass Hunderttausende Menschen ohne Ausweis ins Land kommen. Jeder Zöllner darf in die Koffer eines Einreisenden schauen, das Mobiltelefon ist in diesem Fall persönliches Gepäck. An den Grenzen der USA oder Israels werten die Beamten Handys und Laptops aus: Sicherheitserwägungen. Warum sollte es hier anders sein, wenn die Einreisenden nicht belegen, wer sie sind und wo sie herkommen?

Die Bluttat von Kandel wirft auch die Frage nach archaischen Ehrbegriffen auf

Schwieriger ist es, Antworten auf die zweite, die gesellschaftliche Frage zu finden. Was wäre, wenn die Bluttat von Kandel keine reine Beziehungstat und kein verbrecherisches Stalking war? Was wäre, wenn der Afghane auch getötet hätte, weil er sich aus einem von Kind auf vermittelten Korsett archaischer Wertvorstellungen nicht befreien konnte?

Afghanistan ist Vierte Welt, befindet sich seit fast 40 Jahren im Krieg, die Mehrheit der Menschen bleibt ungebildet. Hat der vermutliche Täter neben traumatisierenden Gewalterfahrungen vielleicht auch eine Ehrvorstellung im Kopf, die es ihm als Mann nicht gestattet, von einer Frau verlassen zu werden? Schuldet er es dieser Ehridee, die Frau zu bestrafen, zu töten? Warum verfolgte er das Mädchen, warum trug er ein Küchenmesser mit 20-Zentimeter-Klinge in der Tasche?

Das sind keine Argumente gegen die Aufnahme der Flüchtlinge, gegen ihre Integration. Im Gegenteil. Wer die Migranten integrieren will, muss ihre Herkunft nüchtern betrachten. Erst dann lassen sich Eingliederungsmodelle entwickeln, die über Deutschkurs und Tischlerlehre hinausgehen. Die eigenen Werte lassen sich nur vermitteln, wenn die Wertvorstellungen der Zuwanderer verstanden werden - und korrigiert werden können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: