Messerangriff in Hamburg:Mit Stühlen gegen den Messerstecher

Nach der Messerattacke in Hamburg

Jamel Chraiet war einer der Männer, die den Attentäter aufhielten.

(Foto: dpa)
  • Kunden und Passanten hielten nach der Messerattacke von Hamburg den Attentäter in Schach.
  • Mit Stühlen bewaffnet attackierten sie Ahmad A. und trieben ihn vor sich her.
  • Es gelang ihnen schließlich, den Attentäter zu überwältigen.

Auf einmal ging alles ganz schnell. Eine Frau habe geschrien, dass jemand Menschen absteche, erinnert sich Jamel Chraiet an den Freitagnachmittag. Kurz nach 15 Uhr war der Attentäter Ahmed A. mit einem Messer auf Menschen im Supermarkt losgegangen. Er verletzte drei Personen, eine davon tödlich. Und während drinnen die Menschen um ihr Leben kämpften, entschlossen sich Jamel Chraiet und seine Bekannten zum Handeln. Das ganze Café sei voll gewesen, sie hätten einfach alle etwas tun müssen.

"Wir haben uns besprochen, jeder sollte einen Stuhl schnappen, dann sind wir auf ihn losmarschiert. Er wurde bereits von Leuten verfolgt, die auf ihn eingeredet haben", erzählt der gebürtige Tunesier am Morgen danach der Nachrichtenagentur dpa. Noch bevor die Polizei am Tatort eintraf, waren es Passanten, die den Täter in Schach hielten. Wie ein Video zeigt, griffen sie zu allem, was sie greifen konnten, um den Täter von weiterem Unheil abzuhalten.

"Plötzlich haben wir einen Mann gesehen, mit einem langen Messer"

Wie schon bei der Attacke auf der London Bridge im Mai waren es in Barmbek normale Bürger, die sich mit Zivilcourage dem Attentäter entgegenstellten. In einem Film ist zu sehen, wie sie Ahmed A. gegenüberstehen, Autofahrer versuchen zu diesem Zeitpunkt noch die Fuhlsbüttler Straße entlangzufahren.

Als sich der Attentäter kurz wegdreht, werfen die Passanten mit Stühlen auf ihn. Nach und nach kommen weitere Menschen hinzu und helfen. "Ich habe auch versucht, mit ihm zu reden, aber er hat nur etwas gesagt, was man überhaupt nicht verstanden hat", erzählt Chraiet, als er wieder in jenem Café sitzt, von dem aus er und andere die Verfolgung aufnahmen. "Ob der in einer anderen Welt war? Keine Ahnung, was mit ihm los war."

Wie Chraiet schon sagte, es ging alles ganz schnell. Nur die Zeit, bis auch die Polizei da war - die sei ihm "verdammt lange" vorgekommen."Aber als Helden würde ich uns nicht bezeichnen, das ist einfach eine normale Reaktion", sagt er.

"Damit die Leute sehen, es gibt auch andere, die nicht so sind"

Chraiet sei aber froh, dass auch er und seine Landsleute an der Verfolgung beteiligt gewesen seien, betont der Mann, der seit 27 Jahren in Deutschland lebt und bei der Hamburger Hochbahn arbeitet. "Damit die Leute sehen, es gibt auch andere, die nicht so sind." Für Ahmet Dogan jedenfalls, den Betreiber eines Backshops in der Nähe, sind die Männer Helden. Wer weiß, was passiert wäre, "wenn sie ihn nicht aufgehalten hätten", sagt Dogan. Und Chraiets Kalkül geht auf: Der Backshop-Besitzer verweist stolz darauf, "dass es ausländische Mitbürger waren", die den Angreifer stoppten.

In seinem Laden gibt es am Samstag kein anderes Thema. Der Edeka-Markt, in dem die Attacke stattfand, bleibt geschlossen. Davor haben Barmbeker Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet.

Jamel Chraiet ist an den Tatort zurückgekommen. Er will die Einkaufsliste abarbeiten, die ihm seine Frau schon am Vortag über WhatsApp geschickt hatte. Seine Familie sei froh gewesen, dass er heil nach Hause gekommen sei. Aber er selbst? Irgendwann in der Nacht habe er es geschafft einzuschlafen, so Chraiet. "Aber es hat lange gedauert. Die Bilder gehen einem nicht aus dem Kopf."

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