Messerattacke in Regionalzug:Faeser stellt Umgang der Behörden mit Tatverdächtigem infrage

Die Bundesinnenministerin positioniert sich in der Debatte um die Aufarbeitung der Messerattacke von Brokstedt. Das Motiv für die Tat ist unklar, relativ gut ausgeleuchtet ist dagegen der Werdegang des mutmaßlichen Mörders.

Von Oliver Klasen

Am Tag nach dem Attentat in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein, bei dem zwei Fahrgäste getötet und fünf weitere verletzt wurden, sind die Behörden mit der Aufarbeitung des Falles beschäftigt - und es hat, wie stets in jenen Fällen, die politische Diskussion begonnen, über Entscheidungen, die möglicherweise falsch getroffen worden sind, über staatliche Stellen, die möglicherweise nicht rechtzeitig eingeschritten sind, über Warnsignale, die möglicherweise übersehen wurden. Eine Diskussion, in der viele mit vorläufigem Wissen operieren, weil die Polizei den Fall ja noch nicht ausermittelt hat.

Positioniert hat sich zum Beispiel Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die am Donnerstag den Tatort im schleswig-holsteinischen Ort Brokstedt besucht und Blumen auf dem Bahnsteig hinterlegt hat. Faeser stellt den Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Täter infrage: "Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war? Wie konnte das passieren, dass er trotz so vieler Vorstrafen nicht länger in einer Justizvollzugsanstalt war? Wie konnte es passieren, dass er so früh aus der Untersuchungshaft wieder entlassen wurde?"

Drei markige Sätze, die die Innenministerin nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen will. Es gehe nicht um Schuldzuweisung, sondern um Aufarbeitung. Deutschland habe nicht zuletzt aufgrund der eigenen "dunklen Geschichte" eine "humanitäre Verpflichtung, Geflüchtete aufzunehmen". Man müsse aber prüfen, "warum Menschen, die so gewalttägig sind, noch hier in Deutschland sind".

Zum Motiv des mutmaßlichen Mörders ist erst sehr wenig bekannt. Auf einen terroristischen Hintergrund gibt es keine Hinweise. Kurz nach seiner Festnahme hieß es, der Mann sei verwirrt gewesen, dazu wollten sich die Ermittler am Donnerstag nicht äußern. Auch Details des Tathergangs müssen noch geklärt werden, relativ gut ausgeleuchtet ist dagegen der - kriminalistische und persönliche - Werdegang des 33-jährigen Ibrahim A. , gegen den am Donnerstagabend Haftbefehl wegen des Verdachts auf zweifachen Mord erlassen wurde. Der Mann ist staatenloser Palästinenser. Nach Deutschland gekommen ist er 2014, anschließend hat er einige Jahre in Nordrhein-Westfalen gelebt, dann zog er irgendwann nach Norddeutschland. 2021 wohnte er zeitweilig in einer Flüchtlingsunterkunft in Kiel, wo er schließlich Hausverbot bekam, weil er andere Bewohner belästigt und gegen Regeln verstoßen haben soll.

Über all diese Details informiert die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) die Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz in Kiel am Donnerstagnachmittag. Auch Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaft und der Stadt Kiel sind dort anwesend und beantworten Fragen.

Die Strafakte von A. umfasst eine Reihe verschiedener schwerer Delikte: Bedrohung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Ladendiebstahls und sexuelle Belästigung. Bis vor Kurzem saß er in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg hatte ihn im August vergangenen Jahres wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ibrahim A. soll einen Mann vor einer Hamburger Obdachlosenunterkunft, mit dem er während der Essensausgabe in Streit geraten war, mit einem Messer angegriffen haben. Das Urteil war jedoch noch nicht rechtskräftig, A. hatte Berufung eingelegt. Weil die Dauer der Untersuchungshaft die vom Amtsgericht verhängte Strafe zu überschreiten drohte, wurde A. am 19. Januar schließlich entlassen - sechs Tage vor der Tat in Brokstedt.

Kurz vor der Tat, um 10 Uhr am Mittwoch, sei A. an einem Infopoint der Stadt Kiel vorstellig geworden und habe um eine Aufenthaltsgenehmigung ersucht. Er sei von den dortigen Angestellten aber zunächst an das Einwohnermeldeamt verwiesen worden. Die Mitarbeiter am Infopoint hätten keine Auffälligkeiten in seinem Verhalten festgestellt, sagt Christian Zierau von der Stadt Kiel.

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