Süddeutsche Zeitung

Stilkritik: Kniebeuge:Merkels wärmender Vorschlag

Die Kanzlerin empfiehlt frierenden Schülern und Schülerinnen, ab und zu eine "kleine Kniebeuge" zu machen. Damit zeigt sie sich wieder einmal als Pragmatikerin.

Von Mareen Linnartz

Als Sport noch "körperliche Ertüchtigung" hieß, empfahl Turnvater Jahn eine Übung, die über 200 Jahre nach seinem Wirken immer noch zeitgemäß ist. Kniebeugen fordern den Körper, fördern die Balance, trainieren viele Muskeln und sind überhaupt gut geeignet, um in Schwung zu kommen oder warm zu werden - beispielsweise vormittags nach ein paar Schulstunden mit erfrischenden Fenster-auf-und-zu-Einheiten.

Möglicherweise deshalb kam Angela Merkel diese sportliche Allzweckwaffe in den Sinn, als sie dem türkischen Radiosender Radyo Metropol FM ein Interview gab und über die Vorzüge des Lüftens in Corona-Zeiten sprach. Frierende Schülerinnen und Schüler könnten ja auch mal "eine kleine Kniebeuge" machen oder "in die Hände" klatschen, empfahl die Bundeskanzlerin. Ansonsten sei natürlich auch wärmende Kleidung eine Alternative.

Felix Magath lässt grüßen

Kniebeugen? Das Wort klingt nach oldschool Felix-Magath-Trainingseinheiten, Übungen aus der Reha oder der Gymnastik-Seniorenstunde im Turnverein. Kniebeugen mögen seit Jahrzehnten weitgehend unverändert praktiziert werden, heute heißen sie eher Squats, werden von Fitnessstudios wahlweise als "ultimative Knackarschformel" oder einfach nur als "Kalorienkiller" angepriesen, inklusive einer "Ass-to-the-grass"-Anleitung. Informationen, die es vermutlich nicht geschafft haben, zu Angela Merkel vorzudringen. Die wandert lieber und ist noch nicht dabei gesichtet worden, in die Knie zu gehen.

Mit ihrer Empfehlung zeigt sie sich aber als Pragmatikerin im besten Sinne. In Zeiten langatmiger Diskussionen um Glühweinstände, Luftfilter und Feiern zum Jahreswechsel lässt sich manches ja wiederum auch einfach mal so lösen. So wie man mit Kaugummis Sachen fürs Erste abdichten und mit Kabelbindern so einiges befestigen kann, sind Kniebeugen im Klassenzimmer eine handfeste körperertüchtigende Maßnahme, für die man weder Vorwissen, Genehmigungen, noch eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio braucht. Wer will, kann danach noch einmal in die Hände klatschen. Das macht allerdings keinen Knackarsch, stärkt aber die Brustmuskulatur.

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