Süddeutsche Zeitung

Meerschweinchen:Eine Spezialität, die das Leben kosten kann

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Am Rost sehen sie einfach schauerlich aus, viel schlimmer ist aber, dass man durch den Genuss von Meerschweinchen-Fleisch Menschen in Ecuador an Pest erkrankt sind.

Von Uschi Treffer

Quito - Auf dem Feuer strecken sie alle Viere von sich, den gesamten Körper wie zum Absprung gespannt, und zeigen ihre spitzen Nagezähne.

Gegrillte Meerschweinchen gelten in Südamerika im gesamten Andenhochland als Spezialität. So gut sie munden mögen - auf dem Rost sehen sie schauerlich aus.

Noch schauerlicher aber ist die Krankheit, mit der sie in Ecuador neuerdings wieder in Verbindung gebracht werden.

Etwa 200 Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt sind in der Provinz Chimborazo in einem Bergdorf eine 55-Jährige und ihre 22-jährige Tochter an Beulen- und Lungenpest gestorben, nachdem sie verendete Meerschweinchen aus eigener Zucht gegessen hatten.

Seither herrscht in dem kleinen Land nicht nur unter Meerschweinchen-Liebhabern Sorge. Die sonst eher klammen staatlichen Einrichtungen stellten nach den Todesfällen flugs Geld für die Region zur Verfügung: Sie verteilten Antibiotika, ließen Dörfer ausräuchern, um Ungeziefer und Ratten zu vernichten, und entwarfen rasch eine kleine Aufklärungskampagne.

Unter Medizinern gilt solche Geschäftigkeit eher als Augenwischerei. Ärzte bezeichnen den neuen Ausbruch der Seuche als "Ohrfeige für Ecuadors Gesellschaft". Die Todesfälle zeigten, dass es nach wie vor am Nötigsten fehle.

Tatsächlich gilt die Provinz Chimborazo, benannt nach dem höchsten Berg und einzigen Sechstausender Ecuadors, als ärmste des Landes: Dort bearbeiten Bergbauern mit wettergegerbten Gesichtern in Ponchos und Filzhüten ihre steilen Flächen wie vor Jahrhunderten, schleppen Lasten über windgepeitschte Hochebenen vorbei an Lamas und strohgedeckten Lehmhütten.

Die Pestepidemien des vergangenen Jahrhunderts, an denen mehrere tausend Menschen starben, gingen vor allem von hier aus. Zuletzt registrierten die Behörden 1990 einen größeren Ausbruch der Seuche.

Der Erreger, das Bakterium Yersinia Pestis, wird über Flöhe von Ratten auf Menschen übertragen, eine Ansteckung ist aber auch durch infizierte Gegenstände und als Tröpfcheninfektion über die Atemwege möglich.

Ohne Behandlung führt die Krankheit meist binnen Tagen zum Tod; in einigen Bergwald- und Savannengebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gilt sie als endemisch.

Nach Ecuador sollen den Erreger im 16.Jahrhundert der spanische Eroberer und Schweinehirt Gonzalo Pizarro und sein Begleiter eingeschleppt haben.

Der Appetit auf Meerschweinchen existierte auf dem Kontinent schon vorher: Die ehemals wild lebenden Nager fanden sich auf der Speisekarte der Inkas. Wie die Tiere am besten zu schlachten und zuzubereiten sind, darüber gibt es verschiedene Meinungen.

Eine neue Methode lieferte nun das Gesundheitsministerium Ecuadors. Ein Mitarbeiter sagte, man müsse vor dem Verzehr gegrillter Meerschweinchen nur sicherstellen, dass die Tiere in kochendem Wasser geschlachtet und gehäutet worden seien.

Und der Minister selbst versicherte nach den beiden Todesfällen: "Alles ist unter Kontrolle, es gibt keine Gefahr."

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SZ vom 29.6.2004
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