Süddeutsche Zeitung

Schwere Komplikationen bei Medikamententests:"Die absolute Ausnahme"

Nach dem fatalen Ausgang einer Pharma-Studie in Frankreich stellt sich die Frage: Wie gefährlich sind solche Studien?

Von Christina Berndt

"Unvorhersehbar und unerklärlich", so nannte der Chef des Labors Biotrial in Rennes den fatalen Ausgang seiner Pharma-Studie. Auch der CEO der portugiesischen Pharmafirma Bial, die den Test in Auftrag gegeben hatte, zeigte sich "zutiefst schockiert". Seit 2009 schon forscht Bial an der Arznei BIA 10-2474, die Schmerzen bei neurologischen Krankheiten lindern sollte. Doch die erste Studie an Menschen bedeutete für einen Probanden den Tod; vier weitere haben Gehirnverletzungen davongetragen, bei dreien werden wohl Schäden bleiben. Ohne Studien an Menschen kann es keine neuen Medikamente geben, aber es bleiben drängende Fragen.

Kann man es angesichts des Pharma-Dramas von Rennes überhaupt noch riskieren, an einer Studie teilzunehmen?

"Ernst zu nehmende Zwischenfälle sind die absolute Ausnahme", betont Maik Pommer, Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm), das neben dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Zulassung neuer Medikamente zuständig ist. Jedes Jahr gehen bei den Behörden etwa 1000 Anträge für Studien ein. Pommer sagt: " Bei der Hälfte fordern wir Nachbesserungen."

Bleiben die Studien der Phase I nicht trotzdem besonders riskant? Hier gelangt eine Arznei zum ersten Mal in den Menschen.

Wie sich ein Medikament im Menschen verhält, sei auch nach Tierversuchen "nicht vollständig vorhersehbar", sagt Ulrich Kalinke vom Forschungszentrum Twincore in Hannover. Allerdings habe es in Deutschland bisher keinen einzigen tödlichen Zwischenfall bei einer solchen Prüfung gegeben, ergänzt Bfarm-Sprecher Pommer.

Haben die Probanden wenigstens etwas von der Teilnahme?

Phase-I-Studien finden an Gesunden statt. Diese könnten motiviert sein, weil sie etwas für die Allgemeinheit tun - aber meist ist Geld der entscheidende Anreiz. Die Probanden in Rennes bekamen 1900 Euro. "Es gibt Menschen, die davon leben, dass sie mal hier, mal da eine Studie machen", sagt Beate Henrikus, die als Geschäftsführerin der Ethikkommission der Uni München eine Umfrage unter Testpersonen gemacht hat. Mehr als jeder Zweite gab an, nur wegen des Honorars teilzunehmen.

Manche Probanden nehmen an mehreren Studien teil. Das ist nicht nur besonders riskant, es kann auch Ergebnisse verfälschen. Ist mehr Kontrolle nötig?

In Frankreich werden alle Probanden zentral registriert. Die Zahl der Studien, an denen sie teilnehmen dürfen, ist begrenzt. Zudem wird die Höhe des Honorars von einer Behörde und nicht von der Pharmafirma festgelegt. "Diese Menschen begeben sich zum Allgemeinwohl in Gefahr", sagt Beate Henrikus. "Wir sollten darüber nachdenken, ob nicht eine Entschädigung gezahlt werden sollte statt eines Honorars, das auch noch versteuert werden muss."

Sind Studien an Gesunden nicht ohnehin unmoralisch?

Ihre Zahl sollte zumindest so gering wie möglich gehalten werden, sagt Wolfgang Eisenmenger, der Vorsitzende der Münchner Ethikkommission: "Man sollte mehr Patienten behandeln. Sie haben zumindest einen indirekten Nutzen davon." So erhalten Patienten in Studien Zugang zu neuen Medikamenten, bevor diese auf den Markt kommen. Auch haben sie mehr Chancen auf gute ärztliche Betreuung.

Wie werden die Probanden abgesichert?

Die Pharmafirma muss eine Versicherung abschließen und für jeden Versuchsteilnehmer mindestens 500 000 Euro zurücklegen. Das heißt aber nicht, dass geschädigte Probanden immer zu ihrem Recht kämen, sagt Beate Henrikus. Mitunter werde jahrelang um die Entschädigung gestritten.

Müsste mehr für die Sicherheit getan werden? In der entsprechenden Richtlinie ist sehr allgemein von "genügend Zeit zwischen den Gaben" die Rede und von Dosissteigerungen "mit Bedacht".

Genauer lasse sich das nicht formulieren, sagt Ulrich Kalinke, der in seiner Zeit als Abteilungsleiter am PEI an der Richtlinie mitgearbeitet hat: "Wie groß der Sicherheitsabstand zu sein hat, hängt von der Art des zu testenden Arzneimittels ab." Auch Wolfgang Eisenmenger sagt: "Es ist schwierig, hier konkreter zu werden."

Worauf sollte man als interessierter Proband achten?

Wie der Biotrial-Fall zeigt, ist nicht nur der erste Test am Menschen riskant. Vor den Geschädigten hatten bereits 84 Personen BIA 10-2474 bekommen. Aber die sechs Männer, die sich später in der Uniklinik in Rennes wiederfanden, waren die ersten, die an einer höheren Stufe der Studie teilnahmen. Sie bekamen das Präparat mehrmals. "Jede Stufe bedeutet ein neues Risiko", sagt Beate Henrikus. Wer mehr Sicherheit will, sollte nicht vorn dabei sein. Noch sicherer ist es, wenn ein Präparat getestet wird, das bereits auf dem Markt ist - zum Beispiel weil ein neues Einsatzgebiet für das Mittel getestet werden soll. Ganz böse Überraschungen werden hier am ehesten ausbleiben.

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SZ vom 20.01.2016
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