Medienforscher Oliver Zöllner:"Man weiß nie, wer die Bilder mal in die Hände kriegt"

Lesezeit: 3 Min.

Medienethiker Oliver Zöllner über Eltern, die Fotos von ihren Kindern auf Facebook veröffentlichen und den Versuch der Hagener Polizei, sie davon abzubringen.

Interview von Friederike Zoe Grasshoff

Mal ist es ein eigener Facebook-Account für den kleinen Paul-Anton, mal ein Foto vom Strand in Rimini: Eltern dokumentieren nicht nur ihre eigenen Entwicklungsschritte in sozialen Netzwerken, sondern auch die ihrer Kinder.

Die Polizei Hagen (Nordrhein-Westfalen) hat nun dazu aufgerufen, keine Kinderbilder in soziale Netzwerke zu stellen und warnt vor Missbrauch durch Pädophile. Der Appell ist längst ein viraler Hit, der Zuspruch der Nutzer enorm.

Doch wann gefährdet ein Kinderfoto das Kind, seine Persönlichkeitsrechte, seine Zukunft? Und ist es wirklich bedenklich, harmlose Fotos mit Freunden zu teilen? Ein Gespräch mit Medienethiker Oliver Zöllner über die Grenzen der Mitteilsamkeit.

SZ: Wenn man den Aufruf der Hagener Polizei und die vielen Kommentare dazu liest, könnte man meinen, es sei verwerflich, Kinder bilder ins Netz zu stellen. Was ist so schlimm daran, ein Foto vom Kind im Karnevalskostüm oder mit Schultüte zu posten?

Oliver Zöllner: Es muss nicht schlimm sein, es kann aber schlimm werden. Vielleicht will das Kind das Foto im albernen Kostüm später nicht mehr sehen - und auch nicht, dass andere Leute es sehen. Was einmal im Netz ist, bleibt in der Regel abrufbar. Und das peinliche Bild begleitet einen mitunter lebenslang.

Welche Folgen kann solch ein Bild haben?

Peinlichkeit ist das geringste Problem. Es kann sehr viel weiter gehen, von Mobbing über Stalking bis hin zu Pädophilen, die solche Bilder privat sammeln und versuchen, Kontakt zu den Kindern aufzunehmen.

Und wenn nur verifizierte Facebook-Freunde die Bilder sehen können?

Sehr viele Menschen kennen sich mit den Privatsphäre-Einstellungen nicht aus - und viele soziale Netzwerke geben sich viel Mühe, den Schutz privater Inhalte möglichst kompliziert zu gestalten. Und auf dem Server der Firma ist das Bild ohnehin gespeichert. Wer weiß, ob dieser Server mal gehackt wird und die Bilder für andere Zwecke missbraucht werden?

Eltern mit Drang zur Mitteilsamkeit verhalten sich also wie kleine Kinder?

Es ist ja völlig in Ordnung, die Entwicklungsschritte des Kindes festzuhalten, im Familienalbum oder auf dem eigenen Rechner, solange er nicht gehackt wird. Doch nicht alle dieser Bilder gehören wirklich in die Öffentlichkeit. Man weiß nie, wer sie mal in die Hände kriegt.

Wann wird das Persönlichkeitsrecht eines Kindes verletzt?

Wenn es dem Kind Schaden zufügt. Wenn es ihm seine Unversehrtheit nimmt. Nacktheit etwa kann das Persönlichkeitsrecht verletzen. Eltern sollten bedenken, dass ein Bild in 20 Jahren wieder herbeigezaubert werden kann - und was das erwachsene Kind dann darüber denken wird.

Ist das nicht auch eine Frage der Abwägung - ob man nun ein Foto von der Einschulung oder aus der Badewanne postet?

Ein Badewannen-Bild würde ich definitiv nicht posten, ein Bild mit Schultüte ist natürlich eine andere Sache. Ich persönlich würde nichts von beidem mit der Öffentlichkeit teilen. Vielleicht ist das ja irgendwann mal für jemanden eine wichtige Information: Hat das Paar XY Kinder? Sind sie verheiratet? Auch wenn ich scheinbar harmlose Bilder poste, gebe ich Informationen über die eigene Person und die Familie preis, die ich nie zurückholen kann.

Spielplatz, Strand, Schultüte - also alles das Gleiche?

Wenn man das so runterbrechen will: Ja.

Über Bilder zu kommunizieren ist ja Teil der alltäglichen Kommunikation. Ist ein solches Foto-Verbot, wie es die Hagener Polizei fordert, überhaupt zeitgemäß?

Gegenfrage: Wo ist der große Gewinn dabei, Bilder von seinen Kindern zu posten - vor allem vor dem Hintergrund potenzieller Missbrauchsgefahren? Ich bin dafür, datensparsam zu leben. Natürlich, die Eltern sind stolz und die Bilder bestimmt süß: Aber muss das wirklich in diese potenziell unendliche Öffentlichkeit gepostet werden? Ich halte das nicht für ratsam.

Ist der Aufruf der Polizei nicht etwas alarmistisch?

Das ist ein sehr weiser Schritt, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, nicht so viel zu posten. Als Mensch hat man die Verantwortung nachzudenken, welche Konsequenzen das eigene Handeln hat. Es ist wichtig, dass in der Gesellschaft eine breitere Debatte darüber geführt wird, was man im Internet macht - und was nicht.

Ist das Netz nicht so voll von Bildern, dass das einzelne Bild beinahe untergeht?

Das ist doch genau der Punkt! Wir gewöhnen uns an alles Mögliche. Wir gewöhnen uns auch daran, ausgespäht zu werden. Man sollte sich immer überlegen: Könnten meine Daten nicht doch mal relevant werden - für einen Kontext, den ich jetzt noch gar nicht abschätzen kann? Wenn ich die Daten einmal freigelassen habe, ist das auch eine Form des Kontrollverlusts.

Haben Sie schon mal ein Bild eines Ihrer Kinder gepostet?

Nein, bis auf meinen Twitter-Account bin ich auch nirgendwo registriert. Bei der Kindergarten-Anmeldung musste ich ein Formular ausfüllen, ob Bilder meines Sohnes auf der Homepage des Kindergartens veröffentlicht werden dürfen. Laut Erzieherin war ich der Zweite in den letzten Jahren, der nicht seine Einwilligung gegeben hat.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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