Medien:Oh, Caroline

Eine große Koalition deutscher Medienkonzerne wähnt die Pressefreiheit in Gefahr - und führt eine Phantomdebatte. Die Bundesregierung aber wird gegen das Straßburger Urteil nicht vorgehen.

Von Hans Leyendecker

In Büchern und Aufsätzen hat sich der ehemalige Hamburger Rechtsprofessor und frühere Justizsenator der Hansestadt, Wolfgang Hoffmann-Riem, immer wieder mit Themen wie "Innere Pressefreiheit als politische Aufgabe" oder "Erosionen des Rundfunkrechts" beschäftigt.

Prinzessin Caroline und ihr Mann Ernst August von Hannover

Prinzessin Caroline und ihr Mann Ernst August von Hannover

(Foto: Foto: Reuters)

Seit Ende 1999 gehört Hoffmann-Riem dem auch mit Fragen des Medienrechts und des Persönlichkeitsschutzes befassten Ersten Senat des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes an, und seine Maxime ist die alte geblieben: "Im Zweifel für die Pressefreiheit."

Mit zunehmender Fassungslosigkeit verfolgt der 64-jährige Richter in diesen Tagen eine Diskussion über Pressefreiheit in Deutschland - eine "Phantomdebatte", wie er urteilt. Eine Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg hatte in einem Urteil vom 24. Juni einer Beschwerde der Prinzessin Caroline von Monaco stattgegeben.

Hoheit hatte gegen die Veröffentlichung heimlich aufgenommener Fotos Beschwerde eingelegt, und die Straßburger Richter hatten ihr Recht gegeben. Fotos sollen künftig nur dann veröffentlicht werden, wenn sie einen Prominenten bei öffentlichen Anlässen zeigen oder einen "Beitrag zur Debatte mit Allgemeininteresse" leisten.

Medien sollen, ähnlich wie in Frankreich, Fotos aus dem Privatleben von Prominenten nur dann zeigen dürfen, wenn diese vorher eingewilligt haben.

Das Straßburger Urteil hat zu einer großen Koalition deutscher Medienkonzerne geführt: von Holtzbrinck bis Springer, von Gruner + Jahr bis Burda - Deutschland einig Verlegerland.

Die Pressefreiheit sei in Gefahr, teilte der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger dem Bundeskanzler mit. "Herr Bundeskanzler, stoppen Sie die Zensur", appellierten rund vierzig Chefredakteure an Gerhard Schröder.

Bis zum 24. September hat die Bundesregierung Zeit, Rechtsmittel einzulegen. Doch das wird sie nicht tun. Heute hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in der Kabinettssitzung unter dem Punkt "Verschiedenes" das Straßburger Urteil referiert.

Und die Runde fackelte nicht lange: "Das Kabinett hat entschieden, dass wir nicht anrufen werden", teilte Zypries mit. Das Urteil habe keine bindende Wirkung für ein deutsches Gericht. Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts gelte weiter.

Von außen wurde die Regierung angefeuert, Einspruch einzulegen. Die Bild-Zeitung sieht eine "Grundfeste unserer Demokratie" bedroht, die Welt wähnt schon das "Ende der Pressefreiheit" nahe, in den ARD-Tagesthemen sorgte sich Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, um sein Liebstes, den investigativen Journalismus: Der sei wegen Straßburg in schrecklicher Gefahr.

Der Bundesrichter Hoffmann-Riem findet einerseits die Straßburger Entscheidung "nicht überzeugend. Das Bundesverfassungsgericht hat die besseren Argumente und geht bei der Zuordnung von Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz viel differenzierter vor als das Straßburger Gericht", sagt er.

"Verlogene Debatte"

Andererseits versteht er die Aufregung nicht. "Es besteht kein Anlass für die Schreckensszenarien, die Chefredakteure und Verleger jetzt zeichnen. Die Straßburger Entscheidung hat einen engen Anwendungsbereich. Sie erlaubt weder Zensur, noch bedeutet sie einen Anschlag auf die Wächterrolle der Presse."

"Da läuft eine verlogene Debatte", stellt der Essener Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner fest. "Es geht um Kohle für einige Verlage, und die machen eine Kampagne daraus. Bedroht ist nicht der investigative Journalismus, sondern der Kloakenjournalismus."

Holthoff-Pförtner, der unter anderem auch Anwalt von Helmut Kohl ist, gehört zur Familie eines Mitgesellschafters des Verlages der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach hat den Aufruf der Verleger an den Kanzler unterzeichnet. "Zu unserem Verlag", versucht Holthoff-Pförtner den Widerspruch zu erklären, "gehören auch einige Blätter der Yellow Press."

Das Straßburger Urteil ist für die bunten Blätter, die früher unter der Bezeichnung "Soraya-Presse" zusammengefasst wurden und Frau im Spiegel oder Das Neue Blatt heißen, oder für Boulevardzeitungen wie Bild in der Tat blitzgefährlich. Betroffen sind vor allem der Bauer- und der Springer-Verlag.

Bei Springer gab es neulich eine Informationsveranstaltung, um Chefredakteure und andere Akteure davon zu überzeugen, dass der Kampf gegen den Straßburger Spruch wichtig sei.

Die Realität ist aus Sicht der Beteiligten atemraubend: Wenn Oliver Kahn mit dem Waschbeutel in der Hand vor dem Haus einer Geliebten fotografiert wird, dürfte das Foto nur gezeigt werden, wenn das angebliche Liebesverhältnis Auswirkungen auf seine Torhüterleistungen hätte. "Im Klartext: Über viele Skandale dürfte dann nicht mehr berichtet werden!", schrieb Bild am Dienstag. "Vor allem nicht über die inszenierten", kommentiert Anwalt Holthoff-Pförtner knapp.

Die Diskussion über die Straßburger Entscheidung ist ein Lehrstück über Medienwirklichkeit und Politik in Deutschland. Der Befund ist alt: Wo der Sehnerv ins Auge eintritt, ist nicht, wie man annehmen könnte, die Sehkraft am größten.

Vielmehr ist dort der so genannte "blinde Fleck". Die Presse hat häufig ihren blinden Fleck dort, wo sie mit sich selber konfrontiert ist. In diesen Tagen, wo die Politik sich nichts mehr zutraut und Begriffe wie "links" und "rechts" nur noch wenig bedeuten, versuchen Verlage immer mehr, die Wirklichkeit zu schaffen, die sie beschreiben sollen.

Früher mühte sich Bild, den Bundestrainer der Fußball-Nationalmannschaft aufzustellen, heute geben Verlage Kommando, wie die Rechtschreibreform korrigiert oder gestrichen werden soll. Die Beobachter begnügen sich nicht länger nur mit dem Kinderstühlchen am Tisch der Mächtigen, sondern sie nehmen in den Chefsesseln Platz.

Pressefreiheit meinte früher wirklich Pressefreiheit. Vor 42 Jahren stürmten Polizeibeamte nächtens das Haus des Hamburger Spiegel-Verlags und durchsuchten die Räume nach geheimen Unterlagen, weil irgendjemand einen vermeintlichen "Landesverrat" gewittert hatte. Rudolf Augstein und einige seiner Kollegen wurden verhaftet. Vier Wochen lang blieb das Hamburger Pressehaus von der Obrigkeit besetzt. Auf der Straße demonstrierten die Massen: "Spiegel tot, die Freiheit tot."

Sollen die Massen heute demonstrieren: "Neue Revue tot, die Freiheit tot"? Neue Revue-Redaktionsleiter Peter Bartels hat den machtvollen Appell "Deutsche Chefredakteure appellieren an Gerhard Schröder" mitunterzeichnet.

Damit jeder der Akteure weiß, wer da mit wem rudert, nur ein paar Hinweise auf die journalistische Vita des Freiheitskämpfers Bartels: Als Boulevard-Rambo bei Bild versuchte er, gemeinsam mit seinem Mitchefredakteur Hans-Hermann Tiedje Auflage zu machen mit Schlagzeilen wie: "Jaa! Deutschland balla, balla!"

Dann ging er zum Ossi-Blatt Super. Und bei der österreichischen Postille täglich Alles hat er wirklich nichts versäumt. Bei dem Aufklärungsblatt Neue Revue hatte Bartels über den "Stutenkrieg zwischen Verona & Naddel" berichten lassen und über "Grün, rot, tot."

Was hat das alles mit Journalismus zu tun? Darsteller des Betriebs, die ein Karl Kraus nicht mal des Begriffs "Tintenstrolche" oder "Presshorde" für würdig befunden hätte, agieren mittlerweile als Herolde der Pressefreiheit.

Ist dieses Land gaga? Der Kölner Stadt-Anzeiger, die Berliner Zeitung, die ARD, das ZDF machen Front gegen Straßburg, und in den unterschiedlichen Medien wird einheitlich begründet, welche Berichterstattung über Skandale dieser Republik angeblich "unzulässig" gewesen wären, wenn die Straßburger Entscheidung Gültigkeit hätte: der "Sause-Skandal" um den früheren Bundesbank-Präsidenten Welteke, die Aktien-Geschäfte des früheren IG-Metallchefs Franz Steinkühler, die Affären des Kurt Biedenkopf, die Verbindungen des früheren Verteidigungsministers Rudolf Scharping mit dem PR-Berater Hunzinger oder der Auftritt des Prinzen August von Hannover, der gegen den türkischen Expo-Pavillon pinkelte.

Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem findet diese Analysen "nicht nachvollziehbar. Keines der Beispiele der Behinderung der Wächterfunktion der Presse wird von der Straßburger Entscheidung erfasst. Sie behindert insbesondere keine Recherchen der Presse zwecks Aufdeckung von Skandalen."

Informationen zu "Fragen von Allgemeininteresse" dürften "selbstverständlich veröffentlicht werden. Dazu gehört die Aufklärung von Fehlverhalten etwa von Politikern oder Wirtschaftsbossen, auch wenn es sich in deren Privaträumen abgespielt hat", argumentiert Hoffmann-Riem.

Die Warner, die in Deutschland die Pressefreiheit in Gefahr sehen, bedienen sich mit Verve des Vorgängers von Hoffmann-Riem beim Bundesverfassungsgericht, des Richters Dieter Grimm.

Der ehrenwerte Grimm, der augenblicklich urlaubt, ahnt vermutlich nicht, was die interessierten Verlage aus seiner Meinungsäußerung gemacht haben.

In einem Interview mit der FAZ am 14. Juli hatte Grimm erklärt, das Straßburger "Caroline-Urteil" treffe die Presse "im Kern". Daraus wurde, dass einer der wichtigsten deutschen Richter um die Pressefreiheit besorgt sei.

Grimm war zwölf Jahre lang zuständig für die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Aber dass die Fälle Welteke, Biedenkopf, Steinkühler mit seinen Bedenken gegen das Straßburger Urteil in Übereinstimmung zu bringen wären, ist absurd. Pressefreiheit, die von Männern wie Peter Bartels verteidigt wird, ist heutzutage allerdings auch nur ein Wort.

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