Süddeutsche Zeitung

Medien:Ein Windstoß

Von Windmühlen, dem Vorwurf oberflächlicher Rechercheund einem Scherbenhaufen beim Spiegel: Wenn ein erzürnter Bestseller-Autor kündigt.

Von Christopher Keil

Montag ist Spiegel-Tag in Deutschland. Für die Spiegel-Journalisten wiederum ist Montag Konferenztag. Dann sitzen sie in Hamburg in der Zentrale und in Berlin, im großen Außenbüro, und reden über die aktuelle Ausgabe und über mögliche neue Themen.

Diese Woche gab es in dem Routinebetrieb einen Eklat. In der Berliner Dependance an der Friedrichstraße meldete sich Harald Schumann, einst als Koautor des Bestsellers "Die Globalisierungsfalle" aufgefallen. Er machte Anmerkungen über den jetzigen Spiegel-Titel "Der Windmühlen-Wahn - Vom Traum umweltfreundlicher Energie zur hoch subventionierten Landschaftszerstörung".

Was er sagte, war eine ätzende Anklage. Die mehr als 30 Anwesenden hörten genauer zu als sonst, denn es fielen harte Worte. Teilnehmer berichten, es seien Begriffe wie "Desinformation" und "Propaganda" gefallen.

Auch habe Bürochef Gabor Steingart die Attacke sofort als "in der Sache unangemessen und in der Form völlig überzogen" zurückgewiesen. Sicher ist: Schumann kündigte seine Kündigung an. Nach vielen Jahren verlässt er eine Redaktion, die vielen als Olymp des deutschen Journalismus gilt.

Schwachstellen in der Titelstory?

Zur Seite sprang ihm Spiegel-Journalist Gerd Rosenkranz. Er argumentierte inhaltlich, wies auf angebliche Schwachstellen der Titelstory hin. Im Umfeld des Nachrichtenmagazins heißt es, Rosenkranz und Schumann hätten vor einiger Zeit selbst einen langen Text über die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland geschrieben, der titeltauglich gewesen sei, aber nie erschien. Auf Intervention von Chefredakteur Stefan Aust?

Im Text von Schumann und Rosenkranz, so heißt es, sei die Windenergie ziemlich gut weggekommen. Zu einem anderen Ergebnis gelangten die zwei erfahrenen Autoren, die dann beauftragt wurden: Frank Dohmen und Frank Hornig lassen kaum Zweifel, dass eine weitere "Verspargelung der Landschaft" ökonomisch und ökologisch Unsinn sei. Über der Abrechnung steht: "Die große Luftnummer."

Hat also Chefredakteur Aust, der beim Pferdezüchten im Elbeflachland bei Stade viele Windräder in der Nähe hat, sein Scharfmacher-Stück bekommen? Hat Spiegel-Mann Schumann mit seinem internen Vorwurf Recht, er habe erstmals das Gefühl, zensiert worden zu sein? Der Fall ist auch in Regierungskreisen Titelthema. Ein Politikum. Wer in der rot-grünen Koalition pro Windkraft ist, ärgert sich über den heftigen Windstoß.

Mit dieser Titelgeschichte habe sich der Spiegel selbst "disqualifiziert", sagt Ute Vogt, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium und SPD-Chefin in Baden-Württemberg: Sie sei "oberflächlich recherchiert". Zudem habe der Spiegel "gezeigt, dass er kein Gespür hat für die Anforderungen der Zukunft".

Er habe sich keine Vorwürfe zu machen, sagt Aust, der bei Panorama und Spiegel-TV den Umgang mit brisanten Stoffen gut gelernt hat. Er komme gerade von der Fernsehmesse in Cannes, so der Chefredakteur am Dienstag, und sei nicht genau im Bilde.

Sicher aber sei: "Herr Schumann und Herr Rosenkranz haben keinen Titel über Windkraft geschrieben." Wohl habe Schumann zu Fragen der Energiepolitik geschrieben; im Übrigen könne Aust nichts zu Entscheidungsprozessen in der Redaktion sagen. Spiegel-Wirtschaftschef Armin Mahler erklärt zu dem in seinem Ressort entstandenen Titel: "Es ist sauber recherchiert worden." Nun entwickele sich eine notwendige und überfällige Debatte.

Drucken oder nicht drucken?

Schumann selbst wollte auf Befragen nicht einmal bestätigen, gekündigt zu haben. Sein Ärger soll sich auch aus der Rezeption eines im Bundeswirtschaftsministerium vorliegenden Gutachtens speisen: Es sei einseitig zitiert worden. Es wurde korrekt zitiert, heißt es beim Spiegel. Am Mittwoch um 13 Uhr meldete sich aus Hamburg dann eine Sekretärin: Herr Aust könne aus arbeitsrechtlichen Gründen nichts weiter sagen.

Später kam eine persönliche Erklärung von Stefan Aust. Danach greife sein Blatt Woche für Woche "relevante und interessante Ereignisse" auf, die in der Gesellschaft diskutiert würden. Dabei seien auch "bisweilen höchst unterschiedliche Betrachtungsweisen nicht ungewöhnlich".

So habe es in der Redaktion vor Jahren sehr gegensätzliche Einschätzungen über Schumanns Buch Die Globalisierungsfalle gegeben: "Gegen die Meinung der zuständigen Ressort-Leitung habe ich damals entschieden, Vorabdruckrechte für das Buch zu erwerben und Auszüge zu publizieren."

Im Übrigen sei es "grundsätzlich Aufgabe der Chefredaktion, unsinnige oder nicht der Realitätsprüfung standhaltende Geschichten nicht zu drucken." Und dann bat Aust - zur Kündigung Schumanns - um Verständnis, "dass wir Personalfragen grundsätzlich nicht in der Öffentlichkeit diskutieren".

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Quelle:
SZ vom 1.4.2004
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