Medellín in Kolumbien:Escobars langer Schatten

Medellín in Kolumbien: Kerze für Pablo Escobar: Es gibt viele Formen der Heldenverehrung in Medellín.

Kerze für Pablo Escobar: Es gibt viele Formen der Heldenverehrung in Medellín.

(Foto: AFP)

Medellín wurde von Pablo Escobar ähnlich geprägt wie Chicago von Al Capone. Zwanzig Jahre nach dem Tod wird der Drogenbaron von vielen verehrt - seine Erben morden weiter. Zugleich macht die Stadt enorme Fortschritte. Besuch in einer gespaltenen Stadt.

Von Peter Burghardt, Medellín

Wer den Paten von Medellín sucht, der findet ihn noch immer. Zum Beispiel von Montag bis Freitag jeden Abend zwischen zehn und elf im Fernsehen. "Pablo Escobar, Patron des Bösen" heißt die beliebte Serie, der kolumbianische Sender Caracol wiederholt sie gerade zum 20. Todestag der Hauptfigur. In 113 Folgen erzählt die Serie, wie der Sohn einer Dorflehrerin und eines Viehzüchters vom Kleinganoven zum berüchtigtsten Drogenbaron der Geschichte wurde. Wie er mit seinen Flugzeugen Tonnen von Kokain in die USA schickte und Dollarbündel stapelte. Wie er mit seinen Killern und Bomben seine Heimat terrorisierte - und für seine Bewunderer unsterblich wurde.

Als Vorlage der Seifenoper dient das Buch des vormaligen Bürgermeisters Alonso Salazar, was für den Einfluss des Jahrhundertverbrechers auf Medellín bezeichnend ist. Außer Al Capone Chicago hat wohl kein Ganove dermaßen eine Stadt geprägt. Das Drama endete am 2. Dezember 1993 auf dem Schindeldach eines Flachbaus, wo Escobar einen Tag nach seinem 44. Geburtstag von einem Sonderkommando erschossen wurde. Der massige Milliardär lag in seinem Blut, der Totenschein verzeichnete drei Einschüsse. Seine mutmaßlichen Reste ruhen auf dem städtischen Friedhof Montesacro, neben der Kirche: "Pablo Emilio Escobar Gavíria" steht auf einer schwarzen Marmorplatte. Das Grab wird von vielen besucht - gegen Gebühr auch mit sachkundiger Begleitung.

Den Spuren Escobars folgen auch Touristen-Touren, eine leitet neuerdings Escobars Bruder Roberto alias Osito (Bärchen). Sie führt auch zu Gebäuden, die Escobar bauen ließ; sie tragen Namen wie Ufo, Dallas oder Monaco. Oder zu seiner Hacienda Nápoles samt Landepiste 200 Kilometer entfernt im schwülen Busch, wo sich der Meisterdealer und Massenmörder einen Zoo mit Seen und Nilpferden hielt. Die Hippos vermehren sich auch nach Escobars Tod. Im Internet finden sich T-Shirts mit dem Konterfei des Mafioso, verkauft von seinem Sohn Juan Pablo, der unter dem Namen Sebastián Marroquín in Buenos Aires als Architekt arbeitet. Und da sind die Sammelalben mit Bildern aus der Telenovela. Vor allem im ärmlichen Sektor Barrio Pablo Escobar ist der Namensgeber eine Ikone. Dennoch wissen alle in der Stadt: Escobars Ende war für Medellín ein Anfang.

Zwei Jahrzehnte später kann man unweit seiner Gruft an der Haltestelle Itagüi im Süden in die Metro steigen. Auch der Bau dieser überirdischen Schnellbahn war gezeichnet von Gewalt und Korruption, heute bringt einer der modernsten Nahverkehrszüge Lateinamerikas Passagiere flott voran. Diese Hauptschlagader der Stadt führt durchs Tal zwischen Wolkenkratzern und grünen Bergen. Entlang der verstopften Stadtautobahn, am schmutzigen Fluss entlang. An der Station Acevedo kann der Passagier in eine schicke Gondelbahn umsteigen und den Hang hinauf schweben, über den unverputzten Ziegelhäusern des Armenviertels Santo Domingo.

Stadt der Gegensätze

Früher war dieses Santo Domingo ein Albtraum; an der Kirchenwand stehen heute die Namen Hunderter Mordopfer geschrieben. "Ich konnte auf dem Schulweg nicht von einer Straßenseite auf die andere wechseln", berichtet der Angestellte Andrés Quirano, 22. Den Weg verstellten "Barreras invisibles", unsichtbare Grenzen zwischen verfeindeten Gangs. Die gibt es vielerorts immer noch in Medellín, aber zugleich macht die Stadt Fortschritte, zum Beispiel in Form dieser Seilbahn. Oben auf dem Hügel erhebt sich die Bibliothek España. Sie ist eine Festung des Wandels, mit erstklassigem Blick ins Tal.

Entworfen wurde das symbolträchtige Bauwerk von einem Stararchitekten, seine Form erinnert an das Guggenheim-Museum in Bilbao. Drinnen sitzt die Leiterin María Cristina Álvarez, 35, und erzählt, wie Literatur und Bildung der kriminellen Versuchung des schnellen Geldes Konkurrenz machen sollen. 2000 Besucher kommen täglich in Lesesäle und Versammlungsraum. "Ein kreativer Erwachsener ist ein Kind, das überlebt hat", lehrt ein Plakat. "Die soziale Wirkung ist groß", sagt die Anthropologin Álvarez. "Medellín wird allmählich mit anderen Augen gesehen."

Dutzende Bibliotheken, Parks und Spielplätze ließ die Stadtverwaltung in Problemzonen setzen. 25 bis 30 Prozent seiner Ausgaben steckt das Rathaus in Kultur, Erziehung und Soziales - beachtlich in Kolumbien, das in seiner Schlacht gegen die Guerilla Milliarden für Armee und Polizei verpulvert. Zwar ist auch Medellín militarisiert, und immer wieder stürmen Soldaten Slums. Aber das zivilisierte Gegenexperiment begann unter dem Mathematiker und ehemaligen Bürgermeister Sergio Fajardo, jetzt Gouverneur der Region Antioquia. "Medellín, die Erzogenere", wurde ein Motto. Und "Medellín für das Leben".

Statt als gefährlichste Stadt der Welt gilt Medellín inzwischen als innovativste Stadt der Welt. Diesen Titel erhielt Medellín kürzlich von Urban Land Institute, Citi-Bank und Wall Street Journal verliehen - vor den Rivalen New York und Tel Aviv. "Sozialprogramme und städtische Entwicklung sind der Schlüssel", erläutert Bürgermeister Aníbal Gavíria; so wolle man endlich das Stigma Escobar hinter sich lassen.

Das einst so übel beleumundete Medellín gilt auch als Metropole des ewigen Frühlings, der Blumen, der Poesie, der Mode, Models und Medizin. Die Mordrate sank seit 1991 von 380 auf jährlich gut 40 pro 100.000 Einwohner (insgesamt sind es 3,5 Millionen). Das ist allerdings immer noch ein mörderischer Wert. 2012 wurden hier 1247 Menschen ermordet, darunter 538 Jugendliche. Die Rauschgift-Kriminalität verschwand ja mit Escobars Tod nicht. Das Medellín-Kartell trägt nun den Namen Envigado-Büro, benannt nach einem Vorort. Und auch Escobars Erben halten sich Söldnerheere. Insgesamt 119 Gangs werden in Medellín vermutet, die Vereinten Nationen klagen über Drogen- und Prostitutionstourismus in der Stadt.

Die Gegensätze in Medellín reichen von den Kunden der Einkaufsmall El Tesoro ("Der Schatz") droben in El Poblado bis zu den Straßenkindern unten am Río Medellín. Im Stadtzentrum erheben sich die dickleibigen Figuren des Künstlers Fernando Botero, zwei davon sind eiserne Vögel. Einer wurde im Jahr 1995 bei einem Attentat, das 23 Menschen das Leben kostete, von Sprengstoff aufgerissen. Fernando Botero nennt ihn "Pájaro herido", verwundeter Vogel. Der andere heißt "Pájaro de la Paz". Vogel des Friedens.

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