Süddeutsche Zeitung

Me Too:Missbraucht im Schlafzimmer des First Minister

Der ehemalige schottische Ministerpräsident Alex Salmond steht wegen versuchter Vergewaltigung vor Gericht. Die Frauen sagen, sie hätten so lange geschwiegen, weil sie seine Macht fürchteten.

Von Cathrin Kahlweit, London

Alex Salmond ist ein bulliger, trinkfester, jovialer Politiker und außerhalb von Großbritannien eher wenig bekannt: Salmond war jahrzehntelang Chef der Schottischen Nationalpartei (SNP) und von 2007 bis 2014 First Minister von Schottland, was mit dem Amt eines Ministerpräsidenten vergleichbar ist. Seit Sommer 2018 ist seine Reputation als mächtiger Strippenzieher allerdings schwer beschädigt; gut möglich, dass er neben Harvey Weinstein, der gerade erst in den USA zu 23 Haft verurteilt wurde, als einer jener Männer in die Geschichte eingehen wird, die von der "Me Too"-Bewegung zu Fall gebracht wurden.

Salmond ist in 14 Fällen wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Belästigung von insgesamt zehn Frauen in der Zeit zwischen 2008 und 2014 angeklagt, seit einer Woche läuft der Prozess in Edinburgh. Der Politiker beteuert seine Unschuld; wie Weinstein reklamiert er, dass der Geschlechtsverkehr, wo es ihn gegeben habe, einvernehmlich stattgefunden habe.

Die Frauen zeichnen ein anderes Bild: das eines saufenden, unkontrollierbaren, übergriffigen Menschen, der keine Grenzen gekannt habe, der Mitarbeiterinnen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in sein Schlafzimmer gelotst habe und dort über sie hergefallen sei, der sie in seinem Amtssitz auf ein Zweiersofa geschubst und sich über sie hergemacht habe, der sich auf junge Angestellte geworfen und ihnen an die Wäsche gegangen sei.

Klima der Angst

Das schottische Strafrecht hat viele Eigenheiten, die Zeuginnen sind nur durch Buchstaben gekennzeichnet, die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal ist streng reglementiert, aber eines ist in der ersten Prozesswoche schon sehr deutlich geworden: Im Bute House, dem offiziellen Amtssitz des First Minister, herrschte ein Klima der Angst. Eine der Frauen, die von Übergriffen Salmonds berichtete, wurde im Kreuzverhör vom Verteidiger darauf hingewiesen, dass die Handlungen seines Mandanten ja nicht so schwerwiegend hätten sein können; schließlich habe der Vorfall keine einschneidenden Folgen gehabt. Die Frau, eine Staatsangestellte, konterte: "Die Folgen waren immerhin so einschneidend, dass wir unsere Arbeitspraxis geändert haben. Danach passten wir auf, dass nie mehr eine Frau allein mit Herrn Salmond im Bute House sein musste."

Als beklemmend wird das Verfahren in der schottischen Öffentlichkeit nicht nur wahrgenommen, weil hier einer der prominentesten Männer des Landes vor Gerichts steht. Oder weil die Regierung seiner Nachfolgerin, Nicola Sturgeon, in der Causa aus politischen Gründen erst lange nur intern ermittelte und später einräumen musste, die eigenen Regeln, die für solche Fälle gelten, nicht eingehalten zu haben. Salmond finanzierte 2018 einen Bericht, der diese Ermittlungen kritisierte, per Crowdfunding; in weniger als zwei Tagen brachte er mehr als 100 000 Pfund zusammen. Gleichwohl wurde er 2019 kurzzeitig festgenommen, es wurde Anklage erhoben.

Salmond war nach dem Scheitern des von ihm 2014 initiierten Unabhängigkeitsreferendums als First Minister zurückgetreten; 2018, nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe, trat er aus der SNP aus.

Beklemmend ist nun vor allem, nachdem der Politiker längst nicht mehr in Amt und Würden ist, welche Begründungen die Zeuginnen, die Salmond schwere sexuelle Übergriffe vorwerfen, dafür anführen, dass sie nicht sofort zur Polizei gegangen sind. Oder sich einen Anwalt genommen haben. Oder den jeweiligen Vorfall öffentlich gemacht haben. Die Antwort lautet, in verschiedenen Varianten: seine Macht. Seine Autorität. Und die panische Angst vor den Auswirkungen, die eine öffentliche Gegenwehr gehabt hätte.

Kolleginnen gewarnt

Eine Zeugin, die nach eigenen Angaben einen Vergewaltigungsversuch abwehren konnte, gab am Donnerstag im Gericht an, sie sei danach tagelang nicht zur Arbeit gegangen und habe Kolleginnen gewarnt, Salmond sei gefährlich. Aber der Übergriff habe während der politisch eminent wichtigen Kampagne für das schottische Unabhängigkeitsreferendum stattgefunden. "Ich empfand eine riesige Verantwortung dafür, seinen Ruf zu schützen. Wenn das, was passiert war, bekannt geworden wäre, hätte das Folgen gehabt, die ich mir gar nicht auszumalen wagte." Sie wäre dann, zitiert die Zeitung The Scotsman aus der Vernehmung, womöglich dafür verantwortlich gemacht worden, dass das Referendum verloren geht.

Auch andere Frauen gaben laut Guardian an, sie hätten - als Mitarbeiterinnen des Politikers - die politische Reputation Salmonds mitten im Unabhängigkeitskampf nicht zu beschädigen gewagt. Seine ständigen Übergriffe habe man schon fast als "gegeben" angesehen, so auch etwa den Vorschlag, wegen der ausgefallenen Heizung in einem Büro doch "in sein Schlafzimmer zu gehen", dort sei es wärmer. "Ich fühlte mich sehr unwohl, aber es war ein Vorschlag des Ministerpräsidenten, also folgte ich", so eine der Frauen. Er habe die Anweisungen gegeben und die Regeln gesetzt. "Unser Job war, den First Minister zu schützen." Jeder Vorwurf hätte Auswirkungen auf seine politische Agenda und die Unabhängigkeitsbewegung haben können. "Das war undenkbar".

Erst die öffentliche Debatte über den Filmproduzenten Harvey Weinstein und der Beginn der "Me Too"-Bewegung hätten ihr Mut gemacht, an die Öffentlichkeit zu gehen. "Ich begann damals, Flashbacks zu haben. Ich fühlte mich von ihm verfolgt."

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