Zum öffentlich geäußerten Heiratsantrag wird ja gerade von feministischer Seite immer wieder erklärt, es handele sich hierbei um einen meist männlichen Erpressungsversuch, dem mit großer Entschiedenheit entgegenzutreten sei. Bemühungen, ein Heiratsversprechen vor Publikum zu erzwingen - etwa mit Überraschungskonzerten im Einkaufszentrum, einer Sperrung der Autobahn oder vor den Kameras einer Dschungelshow - seien unverschämt und perfide. Die so Überrumpelte solle im Rahmen ihrer persönlichen Selbstbestimmung entweder so reagieren wie im Jahr 2013 die von ihrem fußballspielenden Freund Leonardo während einer Live-Schaltung bedrängte Fernsehmoderatorin Anna Billò ("Lass uns lieber zu Hause darüber sprechen, Leonardo") oder jene unbekannte Frau in Bombay, die - wie in einem erfrischenden Video zu sehen ist - einem Musiker spontan die Ukulele entriss, um diese dem Antragsteller auf den Kopf zu hauen.
Nun hat Max Kruse (der Fußballspieler, nicht der Schriftsteller) seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht. Nach dem olympischen Sieg seiner Mannschaft gegen Saudi-Arabien zeigte Kruse während eines ARD-Interviews in Yokohama ein T-Shirt mit dem kurdischen Schriftzug "Ez ji te hez dikim - tu dixwazî bi min re bizwewicî?" (Ich liebe Dich. Möchtest Du mich heiraten?). Glücklicherweise hatte er zuvor "eine Message für meine Freundin zu Hause" angekündigt, sonst hätte die Sportschau-Reporterin ("Einmal übersetzen, bitte!") das T-Shirt vielleicht falsch verstanden. Jedenfalls soll Kruses kurdischstämmige Freundin bereits kurz danach seinem Antrag zugestimmt haben - das teilte er via Instagram mit. Im Sinne eines unabhängigen Journalismus ist das allerdings schwer zu überprüfen, da sich die angeblich auf sie zutreffenden Eigenschaften (sieht gut aus, mag Rap-Musik und wohnt in Berlin) auf viele Instagram-Userinnen anwenden lassen.
Gustav Mahlers Warnung
Kruses Antrag freilich muss - wegen der durch die Distanz gewonnenen zusätzlichen Bedenkzeit für die Angefragte - als besonders mutig angesehen werden. Vielleicht noch mutiger als der Antrag eines tauchenden US-Amerikaners mittels eines an das Fenster eines Unterwasserhotels gehaltenen Zettels im Jahr 2019. Diese Sache ging für den Werbenden gar nicht gut aus.
Neben der Liebe bleibt eben auch die Werbung ein hochriskantes Spiel. Vom Komponisten Gustav Mahler zum Beispiel ist belegt, dass er während seines (nicht-öffentlichen) Heiratsantrages seine Geliebte Alma vehement darauf hinwies, ein Leben mit ihm werde für sie nicht einfach werden. Dennoch heirateten sie, worauf sich die Öffentlichkeit freilich schon im Jahr 1902 ihr Maul zerriss ("Er ist 41 und sie 22, sie eine gefeierte Schönheit, gewöhnt an ein glänzendes gesellschaftliches Leben, er so weltfern und einsamkeitsliebend", befand etwa der damalige Kapellmeister an der Wiener Hofoper in einem Brief).
Bei Max Kruse und seiner Partnerin dürften solche Bedenken freilich nicht angebracht sein. Ihre - auf den ersten Blick - sehr paritätische Liaison dürfte ganz anders sein als etwa die von Ibsen oder Musil beschriebenen, überaus komplizierten Beziehungen zwischen Frau und Mann ("Hedda Gabler"; "Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer"). Weiteren öffentlich geäußerten Liebesbekundungen sollte damit auch in Zukunft, anders als von feministischer Seite gefordert, grundsätzlich nichts im Wege stehen.