Süddeutsche Zeitung

Massenvergiftung:Was haben die Heilpraktiker von Handeloh genommen?

  • Die Harburger Polizei ermittelt gegen 29 Tagungsteilnehmer, die am Freitag nach einer Massenvergiftung einen Großrettungseinsatz ausgelöst haben.
  • Sie sollen die in Deutschland verbotene Droge "2C-E", auch bekannt als "Aquarust", konsumiert haben.

Von Peter Burghardt

Das Personal des Asklepios Klinikums in Harburg bei Hamburg langweilt sich auch sonst nicht. Neuerdings werden auf dem Klinikgelände auch Flüchtlinge betreut, seit ein paar Tagen sind in Haus 2 schwangere, kranke und behinderte Immigranten untergebracht. Doch am Wochenende kamen Menschen in das Hospital, deren Zustand selbst Spezialisten erschreckte. "Die waren außer Rand und Band, nicht zu beruhigen", berichtet ein Klinik-Sprecher der SZ. "Die waren vier Stunden lang so agitiert, dass wir sie fixieren mussten." Fixieren bedeutet hier: festbinden.

29 Heilpraktiker in fünf Krankenwägen

Am Freitagnachmittag brachten Krankenwagen fünf der 29 Heilpraktiker, die sich bei einem Seminar in der Umgebung in einen gemeingefährlichen Drogenrausch verirrt hatten. Der Rest wurde in andere Notaufnahmen eingewiesen, dort dürften sich ähnliche Szenen abgespielt haben. Die Patienten halluzinierten, fuchtelten und schrien, sie waren kaum zu bändigen. Sie mussten in der Intensivstation auf den Betten festgeschnallt werden, sonst wären sie nicht zu behandeln gewesen. Sofortmaßnahmen waren dringend nötig, sonst wäre dieses rätselhafte Experiment unter Umständen tragisch ausgegangen.

Nach ersten Vermutungen der Behörden hatten die Heilpraktiker eine Substanz namens 2C-E geschluckt, die vor allem bei Überdosen das Dasein aus den Fugen reißt. "Die waren entrückt, weg, an einem ganz anderen Ort", erzählt am Montag Matthias Köhlbrandt von der Harburger Feuerwehr, die Einsatzkommandos an den Tatort schickte.

Großalarm: "Massenanfall"

Eingangen war der Notruf am Freitag um 14.25 Uhr, es meldete sich eine entsetzte Stefka Weiland, die Besitzerin des Tagungszentrums "Tanzheimat Inzmühlen" bei Handeloh am Rande der Lüneburger Heide. Auf ihrem Idyll zwischen Eichen und Gänsen torkelten Gäste durch den Garten und Fachwerkbauten oder wälzten sich im Gras. Kurz danach, um 14.40 Uhr, löste die Leitstelle Großalarm aus, wegen "Massenanfall".

Notärzte wurden im Hubschrauber eingeflogen, 160 Polizisten, Mediziner, Sanitäter und Feuerwehrleute eilten mit mehr als 25 Fahrzeugen an die Unglücksstelle. Männer und Frauen im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte fünfzig kämpften mit Herzrasen, Wahnvorstellungen, Krampfanfällen. "Beeindruckende Szenerie", sagt Feuerwehrmann Köhlbrandt, "das war schon eine Herausforderung." Um jeden einzelnen mussten sich fünf bis sechs Helfer kümmern, mit Krampflösern und Beruhigungsmitteln wurde das Schlimmste verhindert.

Wirkung dauerte 20 Stunden an

Danach übernahmen mit vereinten Kräften, Gurten und Instrumenten die Spezialisten von Krankenhäusern wie dem in Harburg, erst nach zwölf bis 20 Stunden ließ die Wirkung nach. Auch der Asklepios-Pressemann fragt sich, welcher Stoff diese offenbar medizinisch vorgebildeten Erwachsenen aus der Bahn geworfen hat. "Das waren doch keine 17-Jährigen, die sich in der Disco irgendwas eingeworfen haben."

Es soll sich ja vielmehr um Heilpraktiker und Ärzte handeln. Die Gruppe komme dreimal im Jahr, gab in ersten Auskünften die an der Sitzung unbeteiligte Körpertherapeutin und Tanzheimat-Hausherrin Weiland zu Protokoll. "Solide, anständige, seriöse und ehrliche Leute", versicherte eine Angestellte dem Hamburger Abendblatt. Der Fachverband Hamburger Heilpraktiker dagegen antwortet auf Anfrage, er kenne weder die Veranstaltung noch deren Teilnehmer.

Was genau diesen unkontrollierten Kollektivtrip nun ausgelöst hat, das konnte auch am Montag noch niemand sagen. Gerichtsmediziner gehen der Frage derzeit anhand von Blut- und Urinproben nach. Zumindest die Asklepios-Ärzte scheinen von den bisher namenlosen Geschädigten keine Einzelheiten erfahren zu haben, was außer mit deren Verwirrtheit wohl auch mit aufkommender Vorsicht zu tun hatte.

Vergleichsweise harmlos ist der Spott - die enthemmten Freunde der Homöopathie bekamen Titel wie "Highpraktiker", auch verwandelte ein Spötter Nenas Hit von den 99 Luftballons in eine Persiflage auf 29 Heilpraktiker. Die Sache könnte jedoch teuer werden. Die Justiz untersucht das Mysterium wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz: 2C-E ist seit 2014 in Deutschland verboten.

Strafverfahren hängt von Laborergebnissen ab

Jenseits von Gut und Böse seien die Betroffenen gewesen, sagt der Buchholzer Polizeisprecher. Jetzt, da sie wieder weitgehend bei Sinnen sein dürften, sollen die Konsumenten des Höllenzeugs von Ermittlern befragt werden. Von diesen Aussagen und besonders von den Laborergebnissen hängt ab, ob und wie ein Strafverfahren eröffnet wird.

Der Suchtexperte Rainer Thomasius des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf würde sich nicht wundern, wenn der Verdacht stimmt: Die psychedelische Komponente von 2C-E, das auch Aquarust genannt wird und als Szenedroge gilt, sei sehr ausgeprägt, es löse starke Halluzinationen mit Sinneserweiterung und enormer Verstärkung von Farben und Tönen aus. "Das bewirkt eine psychotische Dekompensation, eine tief greifende Veränderung. Die Grenze zwischen eigener Person und Umwelt beginnt sich aufzulösen."

"Da ist was gewaltig schief gelaufen"

War der Selbstversuch Absicht? Ein Versehen? Das weiß auch Professor Thomasius nicht, doch er hat vor allem aus der Schweiz und den USA von "psycholytischer Therapie" gehört. Grob gesagt sollen dabei mithilfe von Psychedelika Traumata ins Bewusstsein befördert werden. "Ich halte nichts davon", sagt Thomasius. Zumal die meisten Leute gar nicht wüssten, was da in Untergrundlaboratorien hergestellt würde. Die Konsequenzen reichten bis zu Schizophrenie und Herzinfarkt. Er ahnt: "Da ist was gewaltig schiefgelaufen."

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SZ vom 08.09.2015/tamo
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